Alles aus Nichts - Wie sich unser Universum organisiert hat

Zusammenfassung der Akademievorlesung am 26. Oktober 2009 von

Prof. Dr. Simon D.M. White, Max Planck Institut für Astrophysik, Garching

 

 

Teleskope sind Zeitmaschinen. Aufnahmen mit unseren grossen Forschungsfernrohren zeigen uns entfernte Galaxien nicht wie sie heute sind, sondern wie sie waren, als das entdeckte Licht von ihnen wegflog. Fuer viele unter den lichtschwachen Galaxien, die bei den tiefsten bis heute aufgenommenen Bildern auftauchen (siehe Abb. 1), betraegt die Lichtreisezeit mehr als 90 Prozent des Gesamtalters unseres Universums. Unsere Milchstrasse und vergleichbar nahe Galaxien haben die ganzen 13 Milliarden Jahre kosmischer Geschichte gebraucht, ihren heutigen Inhalt und ihre Struktur zu entwickeln. Am Anfang war die Entwicklung ziemlich rasch, aber jetzt im spaeten Mittelalter sterben die Erneuerungskraefte solcher Galaxien langsam aus. Diese tiefen Aufnahmen zeigen uns die Galaxienbevoelkerung zu allen Stadien dieses Alterungsprozesses. Die entferntesten Galaxien haben sich maximal seit einer Milliarde Jahre entwickeln koennen. Auf diese Weise enthuellt das Hubble Weltraumteleskop die Kindheit der Galaxien.

Mit optische  Teleskopen wie Hubble ist es uns bis jetzt gelungen, Objekte bis zu einem Zeitpunkt bei ungefaehr 800 Millionen Jahren nach dem Urknall zu finden. Mit Radioteleskopen kann man aber viel weiter in die Vergangenheit zurueckblicken. Die 1964 entdeckte kosmische Hintergrundstrahlung (CMB fuer ?Cosmic Microwave Background?) sind die Ueberreste der Hitze des Urknalls selbst im heutigen Universum. Die Strahlung, die wir jetzt im Millimeterbereich messen, hat sich seit einem Zeitpunkt von nur 380,000 Jahre nach dem Urknall fast unberuehrt durch den Kosmos bewegt. Die CMB ist fast isotrop. Das heisst  dass ihre Intensitaet in alle Richtungen fast gleich ist. Darueber hinaus ist ihr Spektrum mit hoher Genauigkeit das eines Planckschen Schwarzkoerpers, eine  Objektes im perfekten thermodynamischen Gleichgewicht mit seiner Umgebung. Mit sehr praezisen Beobachtungen ist es jetzt doch moeglich geworden, sehr schwache Strukturen in diesem fast uniformen Strahlungsfeld zu messen und zu kartografieren (Abb. 2). Wie bei einem Blick nach oben an einem grauen Tag liegen diese Strukturen in weit entfernten Wolken. Die kosmischen Wolken stehen aber nicht nur einige Hundert Meter ueber unseren Koepfen, sondern in der Fruehzeit des Universums, als es 1000mal kleiner, 1000mal heisser und 35,000mal juenger war als heute!

Bei einem Alter von 380,000 Jahren war das Universum fast uniform. Es gab keine Galaxien, keine Sterne, keine Planeten, keine Objekte groesser als der Kern eines Heliumatoms. Die ?normale? Materie bestand aus Wasserstoff (75%) und Helium (25%) und war in Form eines Plasmas mit einer Temperatur von ungefaehr der Haelfte der Sonnenoberflaeche. Diese normale Materie war (und ist immer) aber in der Minderheit. Seine Gesamtmasse betraegt nur ein Fuenftel der Gesamtmasse der sogenannten Dunklen Materie, die nur gravitativ mit Licht und normaler Materie wechselwirkt und die scheinbar aus einem neuen, noch nie auf der Erd  direkt gemessenen Elementarteilchen besteht. Die in Mikrowellenkarten abgebildeten Strukturen sind schwache Schallwellen, die sich durch diese fast uniforme Mischung von normaler und Dunkler Materie verbreiten. Zwei dringende Fragen stellen sich, sollte dieses Bild des jugendlichen Universums richtig sein. Wie ist die heutige Komplexitaet ? schwere Atome von Kohlstoff bis Uran, Lebensformen, Planeten, Sterne, Galaxien, und noch groessere Strukturen ? aus diesen einfachen Anfangsbedingungen entstanden? Und worin liegt der Ursprung dieser schwachen aber direkt beobachteten Schallwellen, die die Vorlaeufer aller spaeteren Strukturen sind?

Die Entwicklung kosmischer Strukturen kann man nicht direkt beobachten. Die Zeitskalen sind einfach viel zu lang und die aus Aufnahmen entfernter Galaxien gewonnenen Informationen viel zu gering. Mit einem detaillierten Modell fuer den Inhalt und die Struktur des fruehen Universums und einer genuegenden Kenntnis der zustaendigen physikalischen Gesetze kann man aber versuchen, die Entwicklung kosmischer Strukturen von 380,000 Jahre bis heute direkt auszurechnen. Die Korrektheit der Hypothesen kann man dann durch Vergleich mit den Beobachtungen ueberpruefen. In den letzten Jahren haben diese Programme grosse Fortschritte gemacht. Das kommt zum einen Teil daher, das  die Anfangsbedingungen jetzt durch bessere CMB Beobachtungen sehr genau charakterisiert sind, zum anderen Teil daher, dass neue Rechnungsmethoden und staerkere Grossrechner eine genauere Ausrechnung der Entwicklung erlauben. Strukturwachstum in der Dunklen Materie (die nur von gravitativen Effekten beeinflusst ist) kann man jetzt ziemlich genau verfolgen (Abb. 3). Beim Versuch auch die Entstehung von Galaxien und Sternen zu simulieren, ist die Ungewissheit auf Grund der Vielfalt wichtiger physikalischer Prozesse viel groesser. Mit plausiblen Annahmen kann man nicht nur grossraeumige Strukturen in der heutigen Galaxienverteilung quantitativ erklaeren (Abb. 4), sondern auch den beobachteten Eigenschaften der entferntesten und damit juengsten Galaxien nahekommen. Durch quantitative Vergleiche hofft man, die Entstehungs- und Entwicklungprozesse der Galaxien besser zu verstehen.

Der Ursprung der schwachen, im CMB entdeckten Schallwellen ist im Moment nicht experimentell zu studieren, da kein derzeit existierendes Teleskop einen Zeitpunkt frueher als 380,000 Jahre direkt beobachten kann. (In der Zukunft wird das vielleicht durch Nutzung von Neutrino- oder Gravitationswellenteleskopen moeglich werden.) Die statistischen Eigenschaften der Schallwellen stimmen aber ueberraschend genau mit der Hypothese ueberein, dass sie sehr frueh (vielleicht 10-30 sek. nach dem Urknall!) waehrend einer Periode sogenannter Inflation entstanden sind. Waehrend dieser Periode ist die Ausdehnung des Universums durch gravitative Effekte beschleunigt statt gebremst worden. Diese seltsame, sich fast selbst widersprechende Moeglichkeit entsteht, weil das Vakuum laut der Quantentheorie aktiv ist und eine Nullpunktenergie hat. Laut der Einsteinschen Gravitationsgesetze hat diese Nullpunktenergie einen Einfluss auf die kosmische Ausdehnung, die entweder gebremst oder beschleunigt werden kann. Quantenfluktuationen der Nullpunktenergie sind im spaeteren Universum durch die inflationaere Expansion auf grossen Skalen gepraegt und sind dann als schwache Schallwellen in den CMB Wolken beobachtbar, die sich noch spaeter zu Galaxien entwickeln. Alle Struktur ist dann anscheinend eine Konsequenz der Natur des Vakuums selbst. Alles ist wirklich aus dem Nichts entstanden.

 

 

Literatur

Eine Uebersicht von Grossrechnersimulationen der Entstehung kosmischer Strukturen findet man in: Die Entstehung der Galaxien, Volker Springel, Physik Journal 2 (Nr 6) p 31 (2003)


Dieser Artikel und andere Artikel, die das kosmologische Standardmodell erörtern, sind auf der Homepage des MPI für Astrophysik zu finden.


Eine Reihe von Uebersichtsartikeln auf englisch sind in einem Insight Review von Nature zu finden: Early Universe, Nature 440, pp 1126?1156 (2006)

 

Abb. 1: Einige Details aus dem Hubble Ultra-deep Field

Einige Details aus dem Hubble Ultra-deep Field, die tiefste je aufgenommene optische Aufnahme des Himmels. Eine Million Sekunden Aufnahmezeit hat die Kamera des Hubble Weltraumteleskops gebraucht, diese schoenen Bilder entfernter Galaxien zu schaffen. Das Licht der naechsten Galaxien (z.B. die schoene grosse Spirale oben rechts) ist ungefaehr eine Milliarde Jahre gereist, um zu uns zu kommen. Fuer die entferntesten Galaxien (z.B. die kleinen roten Galaxien oben links und unten recht) betraegt die Lichtreisezeit mehr als 90% des Gesamtalters des Universums. Wir sehen dann diese Galaxien ganz am Anfang ihres Lebens.

 

Abb. 2: Karte der Struktur der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung (CMB):

Karte der Struktur der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung (CMB): Die kosmische Hintergrundstrahlung, die man im Mikrowellenbereich messen kann, ist in jeder Richtung fast gleich. Um ihre Struktur zu sehen, muss man den Kontrast der Karte sehr stark erhoehen. Dieses Bild des ganzen Himmels wurde aus Beobachtungen des NASA-Satelliten WMAP rekonstruiert. Der Temperaturunterschied zwischen dem heissesten und dem kaeltesten Punkt betraegt nur ungefaehr 10−4 Grad bei einem Mittelwert von 2.73 Grad. Die in dieser Karte sichtbaren Strukturen sind schwache Schallwellen in einer kosmischen ?Nebelschicht?, die nur 380,000 Jahre nach dem Urknall liegt, in einer Zeit lang bevor es Galaxien oder Sterne gab.

 

 

Abb.3: Grossrechnersimulation von kosmischer Strukturentwicklung

Grossrechnersimulation von kosmischer Strukturentwicklung: Die Verteilung der Dunklen Materie (links) und Galaxien (rechts) in einer eine Milliarde Lichtjahre breiten, 600 Millionen Lichtjahre hohen und 50 Millionen Lichtjahre dicken Schicht des Universums wird in vier verschiedene Zeitpunkte ihrer Entwicklung abgebildet. Man sieht, wie der Kontrast der dunklen Strukturen mit der Zeit waechst. Im heutigen Universum (unten) ist der grosse Galaxienhaufen im Zentrum des Bildes von einem Netzwerk filamentartiger Strukturen umgeben. Diese Simulation, die groesste bis jetzt durchgefuehrte ihrer Art, hat einen Monat Rechenzeit auf 512 Prozessoren des Grossrechners der Max Planck Gesellschaft in Garching benoetigt.

 

Abb.4: Vergleich von Simulationsergebnissen mit Beobachtungen echter kosmischer Strukturen

Vergleich von Simulationsergebnissen mit Beobachtungen echter kosmischer Strukturen: Die Keile oben und links zeigen die Strukturen innerhalb drei grosser observationeller Durchmusterungen der Galaxienverteilung. Unsere Galaxis ist an der zentralen Ecke jedes Keils, und jeder einzelne Punkt repraesentiert eine andere Galaxie. Der Massstab des linken Keils ist dreimal kleiner als der der oberen Keile. Man sieht, dass die Galaxien nicht uniform, sondern in Haufen und in groesseren filamentartigen Strukturen verteilt sind. Die Keile rechts und unten stellen die Vorhersagen einer Kombination der Grossrechnersimulation der Abb. 3 mit einem Modell fuer die Entstehung der Galaxien dar. Die Geometrie der Keile und die Eigenschaften der simulierten Galaxien ist so gewaehlt, dass ein direkter Vergleich mit den Beobachtungen moeglich ist. Statistisch sind die Strukturen in der Simulation und im echten Universum sehr aehnlich.