Erstes Langzeitprojekt der Akademie bewilligt: 8, 5 Mio. Euro für Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache

Die Arbeit am ersten Langzeitprojekt der Hamburger Akademie der Wissenschaften kann beginnen: Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) hat am 27.10.2008 insgesamt 8,5 Mio. Euro aus dem Akademienprogramm für die Entwicklung eines elektronischen Wörterbuchs der Deutschen Gebärdensprache bewilligt. Das Projekt der Akademie hat eine Laufzeit von 15 Jahren und soll ab 1. Januar 2009 in Kooperation mit der Universität Hamburg am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser durchgeführt werden.

?Mit der Gründung der Akademie 2004 wollte die Stadt Hamburg auch die Möglichkeit schaffen, Mittel aus dem Akademienprogramm für Hamburger Forschungsprojekte zu erhalten?, so Wissenschaftssenatorin Dr. Herlind Gundelach. ?Ich freue mich, dass dieses Ziel nun erreicht ist und gratuliere allen Beteiligten sehr herzlich zu diesem deutschlandweit einmaligen Projekt. Ich bin mir sicher, dass das Projekt dazu beitragen wird, die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Hörenden und Gehörlosen zu verbessern.? Akademiepräsident Reinitzer meint: ?Das Projekt ist in vielfacher Weise innovativ und genießt hohe Aufmerksamkeit. Ich freue mich, dass unsere in die Gründungsphase zurückreichenden Bemühungen um dieses Vorhaben nun erfolgreich zum Abschluss gekommen sind. Das Projekt unterstreicht die Bedeutung der Gebärdensprache, es unterstreicht die Bedeutung des Hamburger Instituts für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser und es unterstreicht die Bedeutung der Hamburger Akademie, die sich theoretisch und praktisch für diese Sprache und die Verständigung der Gehörlosen engagiert?.

Ziel des Projekts ist zunächst eine umfassende Sammlung gebärdensprachlicher Daten: Hierzu werden Gebärden von ca. 250 gehörlosen Informanten aus dem gesamten Bundesgebiet erhoben. Diese Filme werden systematisch, mithilfe einer eigens entwickelten Datenbank verarbeitet und analysiert. Dieses Korpus, das mehrere hundert Stunden Videomaterial umfassen wird, bildet die Grundlage für die Erstellung des Wörterbuchs. Die Auswahl der Stichwörter wird sich dabei in erster Linie auf die tatsächliche Gebärdenverwendung stützen ? im Unterschied zu bisherigen Gebärdensammlungen, die von einer deutschen Wortliste ausgingen. Geplant sind ca. 6000 Gebärdeneinträge, nachgeschlagen werden kann in beide Richtungen, ausgehend von einer Gebärde oder einem deutschen Wort. Da es sich bei der Gebärdensprache um eine visuelle Sprache handelt, wäre das Projekt ohne moderne Technologien nicht denkbar: Die Gebärden werden als Filme dargestellt, die elektronische Datenbank erlaubt vielfältige Suchstrategien.

Korpus und Wörterbuch sind das erste Unternehmen, die in Deutschland verwendete Gebärdensprache systematisch zu erfassen und zu analysieren. Bei der linguistischen Erforschung der Gebärdensprache nimmt das Institut für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg seit seiner Gründung 1987 eine Pionierrolle ein. Das Team um Prof. Siegmund Prillwitz und Prof. Christian Rathmann hat bereits eine Reihe gebärdensprachlicher Fachwörterbücher erstellt. ?Bislang?, so Prof. Prillwitz, ?fehlte eine umfassende Grundlagenforschung, die sich an modernen linguistischen Methoden orientiert. Unser neues Projekt wird diese Lücke füllen. Das Korpus wird langfristig eine Vielzahl von Möglichkeiten bieten, die Deutsche Gebärdensprache zu erforschen ? so, wie sie benutzt wird.?

?Für die Gebärdensprachgemeinschaft hat das korpusbasierte Wörterbuch auch einen hohen ideellen Wert?, betont Prof. Christian Rathmann, selbst DGS-Muttersprachler und der erste Gehörlose auf einem deutschen Lehrstuhl. ?Damit kommen wir der gesellschaftlichen Anerkennung unserer Sprache ein großes Stück näher?. Die Gebärdensprachen, die sich über Jahrhunderte in den verschiedenen Gehörlosengemeinschaften entwickelt haben, wurden bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als bloßes Gestikulieren abgewertet. Die traditionelle Gehörlosenpädagogik war auf die Lautsprache fixiert und auch die Sprachwissenschaft nahm die Gebärdensprachen kaum als adäquaten Forschungsgegenstand wahr. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich diese Haltung in Deutschland geändert: Heute sind Gehörlose als Mitglieder einer sprachlichen Minderheit weitgehend anerkannt und ihre Gebärdensprache findet immer mehr Verwendung in Erziehung, Bildung, Beruf und Alltag.

Beteiligt sind an dem Projekt gehörlose und hörende Mitarbeiter, darunter Linguisten, Dolmetscher und Computerspezialisten. Die Mittel für das Projekt kommen aus dem Akademienprogramm zur Förderung geisteswissenschaftlicher Langzeitprojekte. Der Bund und die Stadt Hamburg finanzieren je die Hälfte. Die Universität Hamburg unterstützt das Projekt mit Personalstellen, Räumen und Technik.

Das Akademienprogramm ist das deutsche Programm für die Förderung langfristig angelegter, geisteswissenschaftlicher Grundlagenforschung; es wird von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert. Das von Bund und Ländern getragene Programm hat aktuell ein Volumen von knapp 50 Mio. Euro. Weitere Informationen unter www.akademienunion.de.

Der Akademie der Wissenschaften in Hamburg (gegründet 2004) gehören herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen aus dem norddeutschen Raum an. Als Arbeitsakademie trägt sie dazu bei, die Zusammenarbeit zwischen Fächern, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zu intensivieren. Sie fördert Forschungen zu gesellschaftlich bedeutenden Zukunftsfragen und wissenschaftlichen Grundlagenproblemen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts wird sie von der Freien und Hansestadt Hamburg mitfinanziert.

Zur Pressemitteilung des Instituts für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser in Gebärdensprache:
www.sign-lang.uni-hamburg.de/dgs-korpus/presse20081028.html

Kontakt

Dr. Annette Wiesheu, Akademie der Wissenschaften in Hamburg
Tel. 040/42 94 86 69-20, E-Mail annette.wiesheu(at)awhamburg.de
www.awhamburg.de

Susanne König, Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser, Universität Hamburg
Tel. 040/428 38 - 32 12, E-Mail susanne.koenig(at)sign-lang.uni-hamburg.de
www.sign-lang.uni-hamburg.de

Bildquelle: Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser, Universität Hamburg

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