Entwicklung eines korpusbasierten elektronischen Wörterbuchs Deutsche Gebärdensprache - Deutsch

Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist eine über die Jahrhunderte entstandene natürliche und visuelle Sprache, die einen umfassenden Wortschatz und eine differenzierte Grammatik hat. Gebärdensprache ist nicht international – die DGS unterscheidet sich von anderen nationalen Gebärdensprachen, und auch innerhalb der DGS gibt es regionale Varianten (Dialekte).

Zielsetzung

  • Systematische Erfassung und Dokumentation der DGS in ihrer lebendigen Vielfalt
  • Erstellung eines elektronischen Wörterbuchs auf Grundlage der Korpusdaten

Projektbeschreibung

Das Wörterbuch wird ein wichtiges Nachschlagewerk für alle sein, die die DGS als Kommunikationsmittel nutzen, aber auch für DGS-Lernende sowie Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler. Über das Wörterbuch hinaus wird das Korpus auch langfristig eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Erforschung zahlreicher Aspekte der DGS bieten: Das DGS-Korpus-Team leistet Pionierarbeit bei der Entwicklung korpusbasierter Methoden in der Gebärdensprachforschung.

Im Zeitraum von 2010 bis 2012 wurden an zwölf verschiedenen Orten in Deutschland 330 Gehörlose gefilmt. Etwa 350 Stunden Videomaterial werden von einem Team aus Gehörlosen und Hörenden bearbeitet und analysiert.

Daraus entsteht ein annotiertes Korpus. Die Videos enthalten viel Interessantes aus dem Leben Gehörloser und haben daher auch einen hohen kulturellen Wert. 2024 bis 2025 werden weitere Erhebungen mit Gehörlosen zwischen 18 und 32 Jahren durchgeführt, um auch den in der DGS in jüngerer Zeit zu beobachtenden Sprachwandel zu dokumentieren.

Die Auswahl und Beschreibung der Gebärden in den Einträgen des elektronischen Wörterbuchs wird auf Grundlage ihrer Verwendung im Kontext erarbeitet.

Ein repräsentativer Ausschnitt der Videos, mit Annotationen und Metadaten für Forschungszwecke, sind bereits jetzt online verfügbar.

Wörterbuchartikel des Digitalen Wörterbuchs der DGS (DW-DGS) werden seit 2018 in einer vorläufigen Form sukzessive veröffentlicht.

Finanzierung DGS Korpus

Das Langzeitvorhaben wird im Rahmen des Akademienprogramms gefördert, das von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert wird.

Das Langzeitvorhaben wird in Kooperation mit der Universität Hamburg am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser durchgeführt.

Gebärdensprache: Akademieprojekt erforscht nun Sprachwandel in der jungen Generation

Am 23. September ist der Internationale Tag der Gebärdensprache – jedes Jahr werden die mehr als 300 Gebärdensprachen aus aller Welt an diesem Tag gewürdigt. Ein guter Zeitpunkt, der Deutschen Gebärdensprache mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und jetzt auch ihre Veränderungen zu erforschen.

Jede Sprache wandelt sich – so auch die Gebärdensprachen. Schätzungen zufolge wird die Deutsche Gebärdensprache (DGS) von etwa 80.000 bis 100.000 tauben und hörbehinderten Menschen als primäre Sprache genutzt. Dennoch war sie lange Zeit weder erfasst noch dokumentiert und entsprechend wenig erforscht. Im Jahr 2009 hat sich das geändert – dank des einzigartigen Langzeitprojektes „Entwicklung eines korpusbasierten elektronischen Wörterbuchs Deutsche Gebärdensprache – Deutsch“ oder kurz: DGS-Korpus-Projekt der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Deutsche Gebärdensprache erstmals erfasst und dokumentiert

Das Akademieprojekt ist am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser (IDGS) an der Universität Hamburg angesiedelt. Es widmet sich der Dokumentation und Erforschung der Deutschen Gebärdensprache, sammelt gebärdensprachliche Texte von tauben und hörbehinderten Menschen und stellt diese der Öffentlichkeit zur Verfügung. „Im Rahmen unseres Projektes filmten zwischen 2010 und 2012 gehörlose Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an zwölf Orten 330 Gehörlose aus ganz Deutschland beim Kommunizieren in Deutscher Gebärdensprache“, erläutert Prof. Dr. Annika Herrmann, die zusammen mit ihrem Kollegen Thomas Hanke das DGS-Korpus-Projekt der Akademie der Wissenschaften in Hamburg leitet. „Dabei sind über 550 Stunden Videomaterial entstanden, die zeigen, wie diese Sprache verwendet wird. Mit diesen Aufnahmen wurde die Deutsche Gebärdensprache zum ersten Mal systematisch erfasst, darunter auch lexikalische Varianten aus unterschiedlichen Regionen“, so Herrmann weiter.

Deutsche Gebärdensprache online

Auf Basis dieser repräsentativen Daten entsteht ein digitales Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache, das bereits online ist. Es spiegelt die Alltagssprache der tauben Menschen in ganz Deutschland wider und bildet zugleich die Vielfalt und Komplexität der DGS ab. Erfasst werden nicht nur die einzelnen Gebärden, sondern auch deren Verwendung in verschiedenen Kontexten und grammatikalischen Strukturen (siehe dazu den Beitrag „Ein Wörterbuch für Gebärdensprache“). „Wir haben bisher viel erreicht: Das DW-DGS ist ein grundlegendes Nachschlagewerk für alle, die die DGS verwenden oder sich für sie interessieren. Natürlich gab es vor uns andere Korpusprojekte, nicht aber in dieser Dimension. Wir sind unter den Top drei weltweit“, berichtet Herrmann. Die Forschungsarbeiten seien jedoch nicht nur für die deutschen Communities interessant, sondern auch für die internationale Forschungslandschaft: „Wir verknüpfen partizipative Forschung und Öffentlichkeitsarbeit und machen die Ergebnisse digital sicht- und nutzbar.“ Für diese Erfolge wurde das Projekt unter anderem im Jahr 2023 mit dem Kulturpreis Deutsche Sprache ausgezeichnet.

Schon jetzt ist klar: Das DGS-Korpus-Projekt fördert das Verständnis und die Anerkennung der Gebärdensprache als vollwertige und eigenständige Sprache. Doch damit nicht genug: Dank der Dokumentation und Erforschung der Deutschen Gebärdensprache sind weitere Forschungen überhaupt erst möglich.

Neue Erhebung mit jungen Erwachsenen

Anfang Januar 2024 fiel der Startschuss für die nächste Projektphase des DGS-Korpus-Projekts: Im Rahmen einer vierjährigen Verlängerung der Projektlaufzeit richtet sich der Blick auf die junge Generation. Untersucht und erfasst wird die Gebärdensprache der Jahrgänge 1993 bis 2007. „Die Erhebung neuer Korpusdaten mit jungen Leuten ist besonders wichtig, weil diese Generation ganz neue Spracherfahrungen gemacht hat, zum Beispiel bezüglich Technik, Schule, Inklusion und Reisen“, erläutert Julian Bleicken, der seit 2015 Mitarbeiter im Akademieprojekt ist. „Diese Erhebungen ermöglichen einen spannenden, neuen Blick auf den Sprachwandel.“

Forschung in und mit den Gebärdensprachcommunities

Wie auch zuvor findet die Forschung zusammen in und mit den Gebärdensprachcommunities statt. Ergänzend zu den 330 Teilnehmenden der früheren Erhebung kommen nun noch 72 junge Personen dazu. „Die jungen Moderatorinnen und Moderatoren aus der Gebärdensprachgemeinschaft und aus den verschiedenen Regionen unterstützen uns bei der Suche nach Teilnehmenden für die bald startende Erhebung im Videostudio in Hamburg“, so Bleicken. Dann werden wieder Videos gedreht, Interviews durchgeführt, Erzählanlässe gegeben, um die Alltagssprache der jungen Generation zu erforschen.

„Wir arbeiten mit einem partizipativen Ansatz daran, die Deutsche Gebärdensprache und das kulturelle Erbe einer Gemeinschaft zu dokumentieren. Mit der neuen Kohorte der jungen Erwachsenen machen wir nun Daten einer gesamten Generation für alle zugänglich, für die Gesellschaft und die Communities innerhalb, aber vor allem auch außerhalb der Forschung“, sagt Projektleiterin Herrmann. Sie betont: „Wir sind gespannt, zu erforschen, wie sich die Mobilität, die Internationalisierung durch die sozialen Medien und der Einfluss verschiedener Gebärdensprachen auf die Deutsche Gebärdensprache auswirken.“

Katrin Schlotter (Mit freundlicher Genehmigung der Akademienunion aus der Reihe „Projekt des Monats“, September 2024)

Eckdaten
Vollständiger Titel des Langzeitvorhabens:

Entwicklung eines korpusbasierten elektronischen Wörterbuchs Deutsche Gebärdensprache (DGS) - Deutsch (DGS-Korpus)

Leitung

Prof. Dr. Annika Herrmann und Thomas Hanke

Laufzeit

01.01.2009 bis 31.12.2027

Weitere Informationen

Zum Projektflyer

Zur Projekthomepage

Zum Projektfilm mit DGS-Synchronisation

Zum AGATE-Portal (Forschungsinformationssystem der Wissenschaftsakademien)

DGS Korpus auf Twitter: @DgsKorpus

Projekt des Monats: Gebärdensprache: Akademieprojekt erforscht nun Sprachwandel in der jungen Generation (Akademienunion, September 2024)

Aktuellmeldung: Langzeitprojekt DGS-Korpus mit Institutionenpreis Deutsche Sprache 2023 ausgezeichnet

Zahl der Woche: "730.082.677.672.551 Bytes" (Akademienunion, 2022, KW 18)

Zahl der Woche: "550 Stunden" (Akademienunion, 2021, KW 5)

"Ein Wörterbuch für Gebärdensprache" (BMBF, 2020)

Kontakt

Projekt DGS-Korpus

Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser
Universität Hamburg
Gorch-Fock-Wall 7
20354 Hamburg
E-Mail: info(at)dgs-korpus.de
 

Presseberichte

"Ein elektronischer Duden für Gehörlose" - Welt am Sonntag, 24.12.2019

"Prof. Haartolles Wortgestöber" - SPIEGEL, 21.08.2011

Literaturhinweis

Susanne König / Gabriele Langer:
Signs Fiction? Ein Wörterbuch DGS - Deutsch wird entwickelt.
In: Das Zeichen 81 (2009)
Zum Download