Energiesicherheit in Norddeutschland durch Wasserstoff
Veranstaltungsbericht zu "Akademie aktuell" am 07.11.2022
Wasserstoff trägt als Teil einer Systemwende in der Energiewirtschaft wesentlich zur Energiesicherheit bei. Norddeutschland spielt dabei eine wichtige Vorreiterrolle. Das zeigte die Podiumsdiskussion zum Thema "Was tun? Perspektiven und Chancen der Energieversorgung in Norddeutschland" in der Veranstaltungsreihe „Akademie aktuell“ der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.
„Schon zur ersten Ölkrise 1973 hätte uns klar werden müssen, dass unsere Energieversorgung auf tönernen Füßen steht“, sagte Prof. Dr. Mojib Latif, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, zu Beginn der Podiumsdiskussion „Was tun? Perspektiven und Chancen der Energieversorgung in Norddeutschland“ am 7. November 2022 in Hamburg, im resonanzraum. Auf dem Podium: der Umwelttechnik- und Energiewirtschaftsexperte Prof. Dr.-Ing. Martin Kaltschmitt, der Energiesystem-Experte Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Schulz, die Wissenschaftsjournalistin Monika Rößiger und der Leiter der Hamburgischen Behörde für Energie und Klima Anselm Sprandel. Angesichts der aktuellen Krise der Energiesicherheit stelle sich laut Latif die Frage, was sich aus dieser Krise lernen lasse: „Werden wir danach so weitermachen wie bisher?“
Birgit Langhammer von NDR Info moderierte die Podiumsdiskussion. Das Gespräch zeigte, dass Energiesicherheit künftig kaum ohne Wasserstoff auskommen wird. Dazu brachten die Podiumsgäste unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven ein.
Preis- und Mengenkrise in der Energieversorgung
Wird Energie mit Blick auf das Ziel, Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, mittel- und langfristig teuer werden? Die Ölkrise von 1973 sei eine Preiskrise gewesen, betonte Martin Kaltschmitt, Mitglied der Akademie-Arbeitsgruppe "Wasserstoff für das norddeutsche Energiesystem". Gleichwohl sei Energie in den vergangenen fünfzig Jahren „extrem billig“ gewesen, weshalb sehr viel Energie für Prozesse eingesetzt worden sei, die heute in Frage gestellt werden könnten.
Die Gasspeicher sind für den Winter 2022/23 zwar gut gefüllt, doch die Energieknappheit werde auch über die nächsten Jahre weiterbestehen, sagte Kaltschmitt, der an der Technischen Universität Hamburg eine Professur für Umwelttechnik und Energiewirtschaft innehat. Trotz fallender Produktionskosten bei Photovoltaik und Wind könnten diese nicht mit den Produktionskosten von unter fünf Dollar pro Barrel Öl in Saudi-Arabien konkurrieren. „Wir müssen uns auf höhere Energiepreise einstellen“, sagte Kaltschmitt. Es gehe nun darum, „einen anderen Umgang mit Energie zu entwickeln“, sonst seien auch die Klimaschutzziele von 2045 nicht erreichbar.
Auch der CO2-Preis werde hinsichtlich der bislang externalisierter Kosten steigen, prognostizierte der Sprecher der Akademie-Arbeitsgruppe "Wasserstoff für das norddeutsche Energiesystem", Detlef Schulz, mit Blick auf „die Klimaschäden, die wir nicht nur in unseren Ländern, sondern vor allem in den Entwicklungsländern anrichten“.
Dass der CO2-Preis gegenwärtig nur zwischen 20 und 25 Euro statt bei den geplanten 60 Euro liege, sei dem Umstand geschuldet, dass „der Preisschock offensichtlich größer war als der Eindruck durch den Klimaschock“, sagte Schulz, der an der Helmut-Schmidt-Universität das Fachgebiet Elektrische Energiesysteme leitet. Aus Klimasicht müssten die CO2-Kosten höher sein, was jedoch auch eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz sei.
Damit der notwendige Wandel hin zur Klimaneutralität Akzeptanz erfahre, müsse der CO2-Preis gut gestaltet werden, betonte Anselm Sprandel, Leiter des Amtes für Energie und Klima in der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft in Hamburg. Ein stufenweiser Preisanstieg sei eine wichtige Maßnahme, damit sich Menschen anpassen könnten.
Gesellschaftliche Akzeptanz und Teilhabe
Behördenleiter Sprandel wies auf das Problem hin, dass Menschen aus niedrigen Einkommensgruppen am stärksten belastet würden, wenn die Preise für fossile Energien angehoben werden. Sie hätten nämlich „die wenigsten Mittel, dem zu entkommen“. Wegen der nötigen Anfangsinvestitionen scheuten sie vor Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach zurück, obwohl es die Möglichkeit gebe, dafür einen Kredit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau aufzunehmen. Bestandssanierungen in der Wohnungswirtschaft könnten zu sehr starken Mietsteigerungen führen. Politik müsse daher mit Fördermaßnahmen den Wandel so organisieren, dass die Menschen mitgehen können, gleichzeitig dürfe aber der Anreiz zur Veränderung nicht verschwinden.
Die unmittelbare und erfahrbare Teilhabe an der Energiewende hält Sprandel für „eine ganz wichtige Aufgabe“. Sonst gerate die Demokratie in Gefahr. „Wir müssen unbedingt die Erneuerbaren massiv ausbauen und die Menschen endlich mal teilhaben lassen“, betonte auch Monika Rößiger, Wissenschaftsjournalistin und Autorin des Buchs „Die Wasserstoff-Wende“. Rößiger wunderte sich darüber, warum es nicht längst mehr Mieterstrom gebe, obwohl Photovoltaik-Anlagen auf vielen Häusern sinnvoll seien. Würden die Leute dank eines Solardachs billigere Stromkosten erleben, sei das „eine positive Aussicht auf die Energiewende“.
Dekarbonisierung in Hamburg
Auf die Frage eines Hamburger Bürgers im Publikum, wie ein historisches Einfamilienhaus in der Hamburger Gartenstadt mit Photovoltaik und Wärmepumpe saniert werden könne, ohne gegen geltende Bau- und Lärmverordnungen zu verstoßen, erläuterte der Hamburger Behördenleiter Anselm Sprandel, dass auch historische Gebäude nach Sanierungsmaßnahmen wie der Dämmung des Kellers und des Dachs energetisch erheblich bessergestellt werden können. Als Alternative zu Wärmepumpen gebe es die Fernwärme. So ließe sich ein Nahversorgungsnetz für ein kleines lokales Wärmenetz oder möglicherweise ein Anschluss an ein Wasserstoff-Netz schaffen.
Sprandel sagte: „Man wird dann bei der Gartenstadt genau sehen müssen, was da die beste Lösung ist.“ Die Stadt werde dazu diese Fragen eruieren und systematisch klären: „Am Ende wird für jedes Quartier in der Stadt gesagt werden können, welche Energieangebote, Wärmeangebote es dort in Zukunft geben können wird.“
Hamburg hatte 2019 die Überarbeitung seines Klimaplans verabschiedet. „Aus damaliger Sicht waren das ehrgeizige Ziele“, sagte Anselm Sprandel, „aus heutiger Sicht sind sie gar nicht mehr ehrgeizig genug.“ 2020 wurde ein Klimaschutzgesetz verabschiedet: 2045 soll Hamburg klimaneutral werden.
„Ohne Wasserstoff geht das nicht“, betonte Sprandel. Deshalb müssten jetzt bereits dafür die nötigen Strukturen geschaffen werden. Detlef Schulz erklärte: „Da muss man ganz genau hinschauen, in welchen Bereichen man zuerst grünen Wasserstoff erprobt und einsetzt.“ Grüner Wasserstoff ist Wasserstoff, der mithilfe von regenerativer Energie per Elektrolyse hergestellt wird. Für die Produktion von Wasserstoff brauche man auch, so betonten mehrere Podiumsgäste, genügend Überschussstrom, der nicht in anderen Prozessen benötigt werde.
Aufbau von Wasserstoff-Infrastrukturen in Hamburg
Zur in Hamburg geplanten Wasserstoff-Infrastruktur gehört der Aufbau eines Wasserstoff-Industrienetzes im Hamburger Hafen, mit dem die wichtigsten industriellen Abnehmer im Hafen an Wasserstoff angeschlossen werden können. Anselm Sprandel: „Die 14 größten Unternehmen im Hafen sind verantwortlich für ein Drittel des gesamten Gasverbrauchs aus Hamburg. Da kann man sich mal vorstellen, welchen Hebel man da hat für Veränderungen.“ Hamburg fördere auch den Bau großer Elektrolyseure in Moorburg und Billstedt für die Produktion von grünem Wasserstoff. Zusätzlich würden Kapazitäten aufgebaut, um Wasserstoff zu importieren.
Design des Energiesystems und Infrastruktur-Ausbau in Deutschland
Die Wasserstoff-Verteil-Infrastruktur und die Strom-Infrastruktur gewinne im künftigen Energiesystem an Bedeutung, unterstrich Martin Kaltschmitt. Die „Herkulesaufgabe“ bestehe darin, beide Energiesysteme zu modernisieren und auszubauen: Zum einen müsse die Strom-Produktion deutlich ausgebaut werden, da Elektromobilität und Wärmepumpen den Bedarf deutlich erhöhen. Zum anderen müssten die Stromleitungen im urbanen und ländlichen Raum ausgebaut werden.
„Da ist bisher nicht viel passiert“, sagte Kaltschmitt. Für Wasserstoff müssen neue Pipelines, Verdichtungsleitungen und Speicher gebaut werden – und die Häfen für die Wasserstoff-Importe fit gemacht werden. Kaltschmitt erwartet, dass man aus Kostengründen auf der vorhandenen Infrastruktur aufsetze, also die bestehende Erdgas-Infrastruktur Richtung Wasserstoff konvertieren und Stromnetze ausbauen werde.
Elektrolyseure für abgeregelten Strom in Norddeutschland
Detlef Schulz verwies auf die Debatte zum Ausbau der Trassen für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) in Bayern und Baden-Württemberg. Dort wolle niemand das Ende der Stromtrassen haben, da die Umspannstation dort ein „ästhetisches Problem“ sei. „Das ist das, was heute allen Ernstes diskutiert wird“, ärgerte sich Schulz. Zwar verfüge Norddeutschland beim Wasserstoff-Ausbau über die Pole-Position, aber was nütze dies, wenn im Süden Deutschlands das Licht ausgehe. Hinzu komme, dass die Niederspannungsnetze auf „der letzten Meile zum Verbraucher“ intelligenter und steuerbar werden müssen, damit Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen und der erhöhte Strombedarf von Wärmepumpen nicht zum Problem werden.
Monika Rößiger erinnerte daran, dass große Überschüsse an Windenergie in Norddeutschland wegen Netzengpässen nicht verwertet werden können. Derzeit würde mit einem Teil des Überschussstroms auf dem Gelände des Heizkraftwerks Wedel immerhin eine Power-to-Heat-Anlage wie „ein großer Tauchsieder“ betrieben, um heißes Wasser für das Fernwärmenetz zu erhitzen, erzählte Anselm Sprandel.
Mit kleinen Elektrolyseuren könne man überschüssigen Windstrom in Form von Wasserstoff speichern statt ihn abzuregeln und trotzdem zu bezahlen, sagte Rößiger. Aufgrund der hohen Investitionskosten seien Elektrolyseure noch immer ein Verlustgeschäft, hielt Martin Kaltschmitt dagegen. Der Betrieb eines Elektrolyseurs sei erst ab 6000 Stunden Laufzeit wirtschaftlich. Da eine große Qualität von Wasserstoff in der Speicherfähigkeit bestehe, ließen sich damit aber auch Stromkraftwerkskapazitäten absichern, ergänzte Sprandel. Deshalb sei ein Elektrolyseur trotz der bekannten Effizienzverluste „durchaus ökonomisch vertretbar“, zumal es das Nebenprodukt Wärme gebe. Die Wasserstoff-Expertin Monika Rößiger ergänzte, dass man neben Wärme auch den gewonnenen Sauerstoff gewerblich oder für Kläranlagen nutzen könne.
Resilienz durch multimodales Energiesystem
Mit Blick auf verschiedene Wirkungsgrade betonte Detlef Schulz die Bedeutung eines besseren Strommarkt-Designs. In Pilotprojekten könnten die Entwicklungspotenziale verschiedener Technologien und Energieträger entsprechend ausgelotet werden, wobei diejenigen mit dem besten Gesamtwirkungsgrad, der auch die Lebensdauer berücksichtige, zur Anwendung kommen müssten. Nötig sei dazu eine systemische Betrachtung verschiedener Sektoren wie Verkehr und Industrie hin zur Entwicklung von Multi-Energiesystemen. Durch so ein Vorgehen sei eine größere Resilienz in der Energieplanung gewährleistet.
Christiane Schulzki-Haddouti
Die Ausgabe von "Akademie aktuell" am 07.11.2022 fand in Kooperation mit NDR Info statt. In einer Zusammenfassung ist die Veranstaltung online als Podcast ebenso wie im Radioprogramm von NDR Info zu hören.
Sendung: NDR Info Hintergrund | 12.11.2022 | 21:03 Uhr | von Birgit Langhammer
51 Min | Verfügbar bis 11.11.2027
Moderation: Birgit Langhammer, NDR Info
- Die gegenwärtige Krise der Energieversorgung ist bedingt durch eine Preis- und eine Mengenkrise.
- Der CO2-Preis wird hinsichtlich der bislang externalisierten Kosten steigen.
- Für die Akzeptanz des Ziels Klimaneutralität ist es wichtig, dass sich Menschen an den Preisanstieg anpassen und an der Energiewende teilhaben können.
- Hamburg erarbeitet für jedes Quartier Energie- und Wärmeangebote, die zum Ziel Klimaneutralität 2045 passen.
- Wasserstoff ist ein wichtiger Bestandteil der Dekarbonisierungsstrategie.
- Die Herausforderung besteht darin, die Wasserstoff-Verteil-Infrastruktur und die Strom-Infrastruktur deutlich auszubauen.
- Überschussstrom ist geeignet, um mit Elektrolyseuren Wasserstoff-Energiespeicher aufzubauen – mit den Nebenprodukten Wärme und Sauerstoff.
- Das Strommarktdesign muss eine multimodale Energieversorgung unterstützen.