Wir brauchen ein Institut für Pandemieforschung in Hamburg!

UKE-Professor Ansgar Lohse und Edwin Kreuzer von der Akademie der Wissenschaften fordern ein Zentrum gegen neue Viren.

Hamburg. Erschöpft von der gegenwärtigen Pandemie und ihren Folgen mag man es nicht gern hören, aber die Gefahr muss klar benannt werden: Die nächste Pandemie kommt bestimmt! Und auch lokale Ausbrüche und regionale Epidemien, mit bekannten und mit neuen Infektionserregern, werden uns immer wieder vor neue große Herausforderungen stellen.

So hatte Norddeutschland vor gerade erst zehn Jahren dramatisch mit EHEC zu kämpfen. Und noch eine unangenehme Wahrheit muss ausgesprochen werden: Sars-CoV-2, so tödlich dieses Virus sein kann, stellt im Vergleich zu anderen potenziellen Erregern eine eher geringe Gefahr dar.

Wahrscheinlichkeit neuer Pandemien steigt

Was würden wir machen, wenn ein Erreger vor allem jüngere Menschen schwer erkranken lassen würde, wenn die Mortalität wie bei Ebola zweistellig wäre, wenn die Übertragungswahrscheinlichkeit ein Vielfaches wäre? All das muss nicht passieren, aber kann passieren, und die Wahrscheinlichkeit neuer Pandemien steigt in unserer immer dichter bevölkerten, verstädterten, immer mehr zusammenwachsenden und immer mobileren Welt sicher weiter an.

Wie können wir uns darauf vorbereiten, was fehlt? Wissen! Die Wissenschaft bietet bereits viele Erkenntnisse an, aber es bedarf einer ständigen Weiterentwicklung des Wissens in allen betroffenen Disziplinen. Hierum müssen wir uns systematisch und intensiv kümmern. Wissen schützt. In der jetzigen Pandemie haben wir aber auch schmerzhaft erfahren müssen, wie sehr uns Wissen fehlte.

Wissenslücken hinsichtlich epidemiologischer Ausbreitung

Wie trotz rasanter Fortschritte in der virologischen Diagnostik und der Impfstoffentwicklung wir gleichzeitig massive Wissenslücken hinsichtlich der epidemiologischen Ausbreitung und geeigneter Gegenmaßnahmen, ihrer Wirksamkeit und Risiken sowie der geeigneten Form der Kommunikation und Schadensbegrenzung wahrnehmen mussten.

Neben biologischem und medizinischem Forschungsbedarf brauchen wir unbedingt das Wissen über gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen, über ethische und juristische Fragen – alle Bereiche der Gesellschaft sind in einer Pandemie betroffen, und alle Bereiche müssen bedacht werden, wenn wir erfolgreich künftige Pandemien bestehen wollen.

Deutschland braucht Institut für Pandemieforschung

Deshalb brauchen wir in Deutschland ein interdisziplinäres Institut für Pandemieforschung, eine unabhängige Einrichtung, die sich mit der Bedrohung durch Infektionsausbrüche und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen, vor allem aber mit möglichen Gegenstrategien, deren Umsetzbarkeit, aber auch deren komplexen Nebenwirkungen und Risiken auseinandersetzt. Themengebiete, die in einem solchen Institut für Pandemieforschung bearbeitet werden müssen, sind besonders Epidemiologie und Public Health, Psychologie, Ethik, Rechtswissenschaften und Ökonomie.

Selbstverständlich braucht unser Land auch intensivere Bemühungen um die Erforschung von Infektionserregern, ihrer Biologie, Diagnostik und Therapie bis hin zur diesmal so erfreulich erfolgreichen Impfstoffentwicklung. Hier gibt es schon verschiedene sehr gute Ansätze, und Bayern, mal wieder schneller, hat zusammen mit dem Bund je 40 Millionen Euro bereitgestellt, um in der Nähe von München mit der Fraunhofer-Gesellschaft, der Ludwig-Maximilians Universität München und in Kooperation mit Roche ein solches Institut aufzubauen. Die Lücke bleibt bei den nicht-biologischen Wissenschaften, deren Expertise wir genauso brauchen werden.

Hamburg als Standort von Institut für Pandemieforschung

Mehr als 150 Milliarden Euro hat der Bund bisher in der Pandemie für Rettungspakete aufgewendet, um die 1320 Milliarden Euro kostet uns nach aktuellen Schätzungen die Corona-Pandemie insgesamt, und da sind manche Folgekosten noch nicht eingepreist. Wäre es uns durch bessere wissenschaftliche Vorbereitung gelungen, auch nur um ein Prozent effektiver dieser Pandemie und ihren Folgen entgegenzutreten, wir hätten genügend Geld gespart, um ein solches Forschungsinstitut für 100 Jahre zu finanzieren! Können wir es uns leisten, diese Investition in die Zukunft jetzt nicht vorzunehmen?

Hamburg wäre der richtige Standort, und jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, ein solches autonomes interdisziplinäres Institut für Pandemieforschung auf den Weg zu bringen. Hamburg, das Tor zur Welt. Über Tore zur Welt können nicht nur Waren und Touristen kommen, hierübe­r kommen auch neue Erreger herein – über dieses Tor sollte auch neues, überlebenswichtiges Wissen hinausgehen in das Land und in die Welt.

Veröffentlicht am 8. Mai 2021 als Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt