Mit Demokratie-Bildung, verantwortungsvollem Medienkonsum und kommunalem Engagement demokratische Freiheit und Werte verteidigen
Veranstaltungsschlaglichter zu Akademie aktuell am 12. Dezember 2023
„Die Komplexität der Welt kann die Demokratie nicht auflösen, sie kann aber die Menschen dafür sensibilisieren, dass es große Gegensätze gibt, und über Verfahren nachdenken, wie man damit umgeht.“ So fasste der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Cord Jakobeit einen der zentralen Pluspunkte von Demokratien zusammen – gerade angesichts einer Welt im Krisenmodus. Die engagierte Podiumsdiskussion in der Veranstaltungsreihe „Akademie aktuell“ der Akademie der Wissenschaften in Hamburg gelang es immer wieder, die aktuellen Herausforderungen, mit denen sich demokratische Gesellschaften konfrontiert sehen, zu analysieren und Wege aufzuzeigen, wie Demokratie zu stärken ist. Durch die Diskussion zogen sich als wiederkehrende Themen der verantwortungsvolle Umgang mit neuen digitalen Informationskanälen und die Wichtigkeit von kommunalpolitischem Engagement.
Die Podiumsdiskussion zur Frage „Demokratie in Gefahr: Was rettet unsere Freiheit?“ fand in Kooperation mit NDR Info am 12. Dezember 2023 in Hamburg, im resonanzraum statt. Auf dem Podium: Prof. Dr. Cord Jakobeit, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg und Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Hamburg und Elisabeth Niejahr, Geschäftsführerin des Arbeitsbereiches „Demokratie stärken“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion ist im Radioprogramm von NDR Info am Samstag, 16.12.2023, 21:03 bis 22:00 Uhr, zu hören und als Podcast schon ab Freitag, 15.12.2023, in der ARD Audiothek.
Birgit Langhammer von NDR Info moderierte die Podiumsdiskussion. Das Gespräch zeigte, dass unter anderem folgende Entwicklungen und Demokratie-stärkende Maßnahmen entscheidend sind:
• Demokratie gerät unter Druck, wenn der Einzelne krisenhafte Entwicklungen in seinem Alltag spürt und die politische Elite nicht glaubwürdig handelt bzw. Versprechen nicht einlöst;
• Demokratisierung geschieht in Wellen – es gibt ein Auf und Ab;
• das Grundgesetz ist die Basis unserer Demokratie und muss geschützt werden;
• Erstarken der AfD in ostdeutschen Bundesländern braucht eine gesellschaftliche Reaktion;
• Vermittlung zwischen Politik und Gesellschaft übernehmen nicht mehr allein die klassischen Medien, sondern zunehmend auch digitale Angebote – diese Informationen auf ihre Verlässlichkeit und Qualität zu überprüfen überfordert viele Menschen;
• es braucht mehr Demokratie-Bildung schon ab dem Kita-Alter;
• Kommunalpolitik sollte dem Hang zur „Selbstverzwergung“ widerstehen und die eigene Wichtigkeit auch mit Blick auf demokratische Freiheit wahrnehmen;
• Demokratie und Klima- wie Umweltschutz sind eng verknüpft.
Wellen der Demokratisierung oder wann Demokratie erodiert
Angesichts der aktuellen Dichte von Krisen und Kriegen geraten Demokratien unter Druck, stellte Prof. Dr. Cord Jakobeit fest. Es gäbe aber auch Grund zur Hoffnung: „Natürlich wird jedes politische Regierungssystem herausgefordert, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen: Wenn es so ist, dass die Komplexität die Einzelnen überfordert. Wenn es da Sicherheitsbedrohungen gibt, die auch der Einzelne merkt. Wenn es so ist, dass im Supermarkt alles sehr viel teurer ist. Wenn vielfältige Stimmen auf einen einprasseln, die man nicht einordnen kann. Wenn man auch das Gefühl hat, dass die politische Elite im gewissen Sinne Versprechungen nicht einhält, also nicht liefert, was da alles angekündigt wird. Dann entsteht so was wie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Also es ist keine Überraschung: Die Demokratie ist grundsätzlich nicht gesetzt. Also das ist, glaube ich, ganz zentral, dass man von dieser Staatsform wie von vielen anderen nicht ausgehen darf, dass sie unumstößlich ist. Sie erodiert. Sie kann sozusagen weniger werden.
Wir beobachten weltweit, wie sich das verändert. Wir stellen fest, dass etwa seit 2004, 2005 die Anzahl der Staaten, die in Richtung Autokratie abdriften, größer wird, also die Anzahl der Demokratien, geringer, dass auch die Mehrheit der Bevölkerung auf der Welt in diesen Autokratien lebt. Das ist erst mal aus einer längeren Perspektive überhaupt nichts Besorgniserregendes, weil es das auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben hat. Die Politikwissenschaft unterscheidet Wellen der Demokratisierung. Es hat in den letzten 100, 150 Jahren immer sehr unterschiedliche Bewegungen gegeben, in denen die Anzahl der Demokratien aufgeblüht ist. Aber solche Welle fällt auch wieder ab. Es gibt dann plötzlich eine Krise oder eine längere Krise, wo die Anzahl der Demokratien zurückgeht. Aber in der Vergangenheit war es bisher immer so, dass dann auch wieder ein neuer Impuls entstanden ist. Und die Hoffnung, die man im Moment hat, ist, dass diese kumulativen Krisen konstruktiv überwunden werden und bestimmte Themen sich dann auch erledigt haben. Und dass sich dann eine Demokratie auch wieder fangen kann. Ob das zu naiv ist, das muss dann die Zukunft zeigen. Aber man sollte, wenn man sich einen etwas längeren historischen Blick zum Maßstab nimmt, nicht allzu pessimistisch sein.“
Alarmruf notwendig, der die Öffentlichkeit angesichts von Wahlprognosen für die AfD wachrüttelt
Mahnend äußerte sich Cord Jakobeit mit Blick auf das Erstarken der AfD insbesondere in ostdeutschen Bundesländern und mit Blick auf das Thema AfD-Verbot: „Ich beobachte im Moment eine laufende Diskussion über ein AfD-Verbot. Natürlich hat das einen bestimmten historischen Kontext und wir wissen, dass das extrem schwierig ist, weil es eben eine Strategie dieser Partei gibt, jetzt nicht Lebensraum im Osten zu fordern oder zu Gewalt aufzurufen. In den Parteiprogrammen ist ja eine sehr bewusste Strategie, auf bestimmte Themen zu setzen, auf diese Art der Zersetzung. Zu beobachten ist, dass Leute, die im politischen Spektrum jetzt nicht so ultra weit weg sind von diesen Positionen, dass sie versuchen, diese Ultra-Positionen noch zu überholen, also sich in einen LGBTIQ-Dialog oder -Diskurs einzuschalten, sich in der Migrationsfrage auf eine bestimmte Art und Weise zu positionieren. Alle Forschung sagt: Wer sich da anbiedert, der stärkt nur diese Ränder, der stärkt nicht sich selbst. Also das muss man sehr klar vermitteln, glaube ich.
Bei der Frage des AfD-Verbots ist es so, dass wir genau diese Evidenz, die man da eigentlich bräuchte, nicht haben. Das ist ein ungeheurer, langwieriger Prozess, der käme vermutlich viel zu früh. Wichtig ist, dass jetzt intensiv darüber diskutiert wird, dass man die Bereitschaft und die Kenntnis darüber schafft, was die Voraussetzungen sind und was es braucht, um das zu machen, weil das ist ja genau die Auseinandersetzung mit diesen Positionen ist, die man braucht. Wir reden da ja über momentane Wahlumfragen für die Landtagswahlen 2024 in Thüringen und in Sachsen und in Brandenburg. Die letzte Zahl, die ich gesehen habe, war in Sachsen 35 %, in Thüringen 34 % gegenwärtig. Deshalb würde ich jetzt in den nächsten Wochen nicht zögern, verschiedene Gruppen zusammenzubringen: Schulen, Universitäten, gern auch Akademien, Unternehmen, Kultureinrichtungen, nicht die politischen Parteien, und zu sagen: ‚Wir sind in tiefer Sorge!‘ Also wir sind im Moment auf so einer Rampe oder möglicherweise auf so einer Rampe, wo es wirklich bergab geht. Und wenn da jetzt nicht mal ein Alarmruf kommt, der die Öffentlichkeit wachzurüttelt in dieser Hinsicht, was das für Gefährdungen sind, was diese Strategien sind, dass man dann nicht nur eine über Jahrzehnte gewachsene demokratische Ordnung aufs Spiel setzt, sondern das zusammenwachsende Europa gleich mit.
Also das ist ja auch genau die Forderung nach einem Dexit. Wenn man sich mal das AfD-Europawahlprogramm ansieht, da steht das drin.: Wenn die Forderungen nicht in angemessener Zeit erfüllt würden, dann gibt es einen Volksentscheid über den Dexit, also solche Dinge sind es, die da offen artikuliert werden. Das erinnert mich an andere Zeiten in diesem Land, wo man, wenn man die Bücher oder solche Sachen früh genug gelesen hätte, vielleicht etwas früher aufgewacht wäre. Also ich bin in tiefer Sorge und ich glaube auch, dass es wichtig wäre und dass die Gesellschaft das auch als Resonanz aufnehmen würde, wenn so ein Aufruf gestartet würde.“
Informationen aus digitalen Kanälen können zu Überforderung und emotionaler Bewertung führen
Soziale Medien verantwortungsvoll zu nutzen sei für Politikerinnen und Politiker ebenso wichtig wie auch für die Gesellschaft insgesamt, denn „parasitäre Akteure“ versuchten strategisch teilweise antidemokratisch den Werte-Diskurs zu untergraben, unterstrich die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw. Daher sei gerade angesichts der aktuellen Dichte von Krisen und des Aushebelns von demokratischen Werten im Internet etwa der gerade beschlossene EU Data Act wichtig. Zugleich forderten Einschränkungen durch Krisen und neue mediale Entwicklungen die Menschen heraus. So Kleinen-von Königslöw: „Jetzt sind wir als Gesellschaft an dem Punkt, an dem wir stärker vielleicht als früher manchmal feststellen, dass wir nicht mehr ganz frei sind in dem, wie wir uns verwirklichen wollen, sondern eben an Grenzen stoßen, die beispielsweise durch die Klimakatastrophe bestimmt werden. Oder aber auch dadurch, dass wir jetzt einen Krieg in Europa haben, der uns natürlich – im Vergleich zu Menschen in der Ukraine – ganz anders, aber doch in einer gewissen Weise betrifft. Das heißt, wir sind gerade ein bisschen aufgeweckt worden, dass es doch mehr Probleme gibt, die es gilt anzugehen. Und als Bürgerinnen und Bürger sind wir dann in der Situation, dass wir wissen wollen: ‚Okay, was ist denn jetzt die richtige politische Entscheidung? Wie kommen wir denn jetzt zu politischen Entscheidungen, die tatsächlich dazu beitragen, unsere Probleme zu lösen?‘ Und was wir jetzt merken, ist, wie stark wir eigentlich darauf angewiesen sind als Bürgerinnen und Bürger, dass es tatsächlich so eine Vermittlungsinstanz gibt zwischen der politischen Ebene, die diese Entscheidungen trifft, und unseren eigenen Interessen als Bürgerinnen und Bürger.
Klassischerweise hat das traditionell der Journalismus sehr stark gemacht in Deutschland. Das hatte auch seine Nachteile und das hat bestimmte Bereiche der Gesellschaft recht unsichtbar gemacht, weil die sozusagen in großen Städten niemanden so richtig interessiert haben. Aber solange es den Journalismus gab, war das unser wichtigster Verbindungsrahmen. Und jetzt gibt es viel mehr Möglichkeiten, sich direkt zu informieren, direkt in Kontakt zu treten mit politischen Akteuren. Das schafft mehr Möglichkeiten, aber auch viel mehr Unsicherheit. Weil wir jetzt plötzlich als Bürgerinnen und Bürger selber bewerten müssen: Sind die Informationen, die ich da die ganze Zeit auf meinem Smartphone sehe, sind die eigentlich qualitativ hochwertig? Sind sie verlässlich? Von wem kommen die eigentlich? Und es zeigt sich sehr stark in meiner Forschung, dass die meisten Menschen eben sehr stark davon überfordert sind. Gerade wenn sie sich insbesondere über soziale Medien informieren, was in Deutschland inzwischen ein Drittel der Bevölkerung macht. Da kriegen sie viel mehr Informationen in einer viel größeren Vielfalt, aber eben auch viel mehr Überforderung. Wie soll ich das alles einordnen? Kann ich dem vertrauen? Und das führt in der Tendenz eher dazu, dass wir uns dann danach entscheiden, was uns persönlich jetzt emotional am besten passt und nicht unbedingt, was die beste im Sinne von qualitativ hochwertigste Information ist.“
Demokratie früh üben
Demokratie verlangt auch nach dem Engagement jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers. Und es brauche eine früh, möglichst schon im Kita-Alter einsetzende Demokratie-Bildung, sagte Elisabeth Niejahr, Geschäftsführerin des Arbeitsbereiches „Demokratie stärken“ von der Hertie-Stiftung: „Ich glaube, Demokratie muss man üben. Das sind Kompetenzen, die man erwirbt. Man weiß nicht automatisch, wie man gut debattiert, sich gut streitet oder wie man Kommunalpolitik macht oder gar ein eigenes Demokratie-Projekt managt. Solche Sachen versuchen wir in unseren Projekten zu vermitteln. Da geht es immer sehr viel um Selbstwirksamkeit. Und um Erfolgserlebnisse. Dass man wirklich etwas tut, wo man den Eindruck hat oder wo man merkt, dass man real etwas bewegen kann.“
Freiheit an der kommunalen Basis verteidigen
So werde unsere Freiheit besonders an der kommunalen Basis verteidigt, wie es Niejahr anschaulich beschrieb: „Ich glaube, da gibt es auch schon so eine Gefahr der Selbstverzwergung. Ich glaube, wir müssen dahin kommen, dass wirklich Kommunalpolitik für schick und cool gehalten wird. Also so wie Leute gerne auf dem regionalen Wochenmarkt kaufen und gerne den Apfel oder die Kartoffeln aus der Region essen. So muss auch Govern Local angesagt werden. In den Gymnasien wird heute diese United Nations Konferenz simuliert. Das ist auch eine gute Sache. Aber genauso wie man da lernt, sich für die UNO zu interessieren, die von der Lebenswelt von Jugendlichen viel weiter weg ist, sollte man auch Wege finden, sich für Kommunalpolitik zu begeistern und irgendwie feststellen, dass das nicht irgendwie piefig ist, sondern total relevant. Gerade wenn man in seiner Umgebung was verändern kann. Man merkt aber Kommunalpolitik und Jugendliche, das sind zwei Welten, die selten zusammengehen. Wir haben da auch ein paar Projekte in dem Bereich, deswegen kenne ich das aus der Anschauung. Wenn es mal gelingt, sagen die Kommunalpolitiker oft: ‚Oh, toll, dass wir mal junge Gesichter hier haben.‘ Aber es ist nicht so selbstverständlich, dass das überall funktionieren würde mit dem Nachwuchs.“
Argumentation gegen Desinformation und Verschwörungstheoretiker – Demokratie-Kurse für Unternehmen
Gute Erfahrungen mache die Hertie-Stiftung auch mit Demokratie-Angeboten für Unternehmen, berichtete Elisabeth Niejahr: „Wir arbeiten mit Arbeitgebern zusammen, auch gerade übrigens im norddeutschen Raum. Wir haben einen Schwerpunkt in Hamburg – da machen ganz viele Unternehmen mit. Es sind Kurse für ihre Beschäftigten, die im Lunch- and-Learn-Format sind, und sich mit Desinformation, Hassrede sowie Verschwörungserzählungen beschäftigen. Und da geht es dann um so Fragen: Was ist eigentlich überhaupt justiziabel? Wofür brauche ich jetzt einen Screenshot? Was passiert damit, wenn ich jemand angezeigt habe? Hat die Polizei und die Staatsanwaltschaft überhaupt Ressourcen dafür, um das zu ahnden?
Und: Wann werte ich eher jemanden auf, wenn ich da jetzt reagiere und einen Kommentar mache? Und wann ist eher Mut zur Gegenrede angesagt? Das ist das, was in den Kursen meistens rauskommt: Im Zweifel Kontra geben und nicht einfach anderen die Deutungshoheit überlassen, sondern kontrolliert und bewusst aber dagegen argumentieren. Wenn man sich traut, wenn man sich nicht selber damit gefährdet. Welche Beratungsstellen gibt es? Wie sage ich es meiner Schwiegermutter, wenn es beim Familienfest schwierig wird? Wie holt man Leute ab?
Es geht ja oft auch gar nicht nur um rationale Argumentation. Das war für mich so ein wichtiger Lerneffekt. Also politische Bildung zielt oft sehr auf Wissensvermittlung ab. Und warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben oder anfällig dafür sind, hat oft was mit einer psychischen Disposition zu tun. Nicht im Sinne von Krankheit, sondern weil man es gerne glauben will, was da erzählt wird, weil einem das Sicherheit gibt, weil das plausibel ist, wenn man sich in einer Gruppe wohlfühlt von Menschen, die die Verschwörungserzählung glauben. Das heißt, man kann nicht nur mit rationaler Aufklärung agieren, sondern muss auch gucken, in welchem Kontext man die Leute erwischt, die man da adressieren will.“
Zusammenstellung: Dagmar Penzlin
Die Ausgabe von "Akademie aktuell" am 12.12.2023 fand in Kooperation mit NDR Info statt. In einer Zusammenfassung ist die Veranstaltung online als Podcast ebenso wie im Radioprogramm von NDR Info zu hören.
Sendung: NDR Info Hintergrund | 16.12.2023 | 21:03 Uhr | 49 Min
Moderation: Birgit Langhammer, NDR Info