Wie Justiz, Medien und die Zivilgesellschaft antidemokratischen Angriffen trotzen und Freiheitsrechte verteidigen können

Veranstaltungsbericht zu Akademie aktuell am 14. Mai 2024

Angesichts antidemokratischer Entwicklungen ist die politische Lage in Deutschland aktuell gefährlich, es bestehe trotzdem laut Rechtwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Oeter kein Grund zur Panik. Vielmehr geht es jetzt darum, dass Justiz, Medien und die Zivilgesellschaft Freiheitsrechte verteidigen. Zum Beispiel gibt es Maßnahmen, um die rechtsstaatliche Resilienz zu stärken. Die Podiumsdiskussion in der Veranstaltungsreihe „Akademie aktuell“ der Akademie der Wissenschaften in Hamburg analysierte die aktuelle Situation und mögliche Szenarien, falls eine antidemokratische Partei wie die AfD staatliche Machtmittel in die Hand bekommen sollte. Die Veranstaltung war ausgebucht, das Interesse des Publikums war sehr groß. Das zeigte sich auch in Fragen danach, wie die Justiz und auch jede einzelne Person Freiheitsrechte und Demokratie verteidigen könnten.

Die Podiumsdiskussion zur Frage „Ernstfall Machtübernahme: Wie sichern wir unsere Freiheit?“ fand am 14. Mai 2024 in Hamburg, im resonanzraum statt. Auf dem Podium:
Dr. Lennart Laude, Rechtswissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Thüringen-Projekt vom Verfassungsblog
Ann-Katrin Müller, Politikredakteurin beim Magazin „Der Spiegel“
Prof. Dr. Stefan Oeter, Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und ausländisches Öffentliches Recht an der Universität Hamburg, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg

Birgit Langhammer von NDR Info moderierte die Podiumsdiskussion. Das Podiumsgespräch beleuchtete vertieft folgende Themen:
• Erkenntnisse des Thüringen-Projekts und Verbreitung der Projekt-Ergebnisse;
• Freiheits- und Demokratie-Schutz durch Abbau von rechtlichen und verfassungsrechtlichen Schwachstellen;
• mögliche Folgen einer Einflussnahme etwa auf Medien und Bildung durch eine antidemokratische, verfassungsfeindliche Partei;
• bessere Ausstattung und Mentalitätswandel der Justiz, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausreichend stark verteidigen zu können;
• Rolle der Zivilgesellschaft und jeder einzelnen Person bei der Verteidigung von Grundrechten und Demokratie.

Antidemokratische Entwicklung in Polen und Ungarn musterhaft

Zu Beginn der Diskussion schilderte Dr. Lennart Laude als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Thüringen-Projekt, wie dieses Projekt aus der Arbeit des Verfassungsblogs hervorgegangen ist. Der Verfassungsblog beobachtet seit 15 Jahren verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Entwicklungen in Deutschland, aber auch in Europa und weltweit. Die Entwicklung in Ungarn und Polen habe der Blog sehr detailliert begleitet: „Dabei hat man festgestellt, dass sich Muster erkennen lassen und dass autoritär-populistische Parteien in den Ländern ähnlich vorgehen, sehr ähnliche Strategien anwenden und letztlich die Mittel der Verfassung und des Rechtsstaats nutzen, um diesen Rechtsstaat von innen auszuhöhlen und von innen anzugreifen.“  So Laude. Es stellte sich die Frage: „Geht das eigentlich auch in Deutschland?“

Am Beispiel von Thüringen ist diese Frage durchgespielt und eine Analyse des Landesrechts in Thüringen vorgenommen worden. Das Thüringen-Projekt hat Mitte April 2024 schließlich Handlungsempfehlungen veröffentlicht – Titel: „Rechtsstaatliche Resilienz in Thüringen stärken“. Darin finden sich konkrete Empfehlungen für Formulierungen und Streichungen in der Thüringer Landesverfassung.  Auf dem Podium erklärte Lennart Laude, dass es bestimmte Verwundbarkeiten gäbe, „die man mit relativ geringem Aufwand, also ohne Umschreiben mehrerer Artikel der Landesverfassung schließen könnte“. Lennart Laude räumte zugleich mit Blick auf die Handlungsempfehlungen ein, dass die Umsetzung der Empfehlungen sich schwieriger gestaltet. Was diese Legislaturperiode für Thüringen betrifft, befürchte er, „dass der Zug da wirklich abgefahren ist“. Am 1. September 2024 stehen die Landtagswahlen in Thüringen und in Sachsen an; am 22. September wird in Brandenburg ein neues Landesparlament gewählt.

Rechtswissenschaftler und Akademiemitglied Prof. Dr. Stefan Oeter von der Universität Hamburg bestätigte Laudes Einschätzung und betonte aber zugleich, es gebe aktuell keinen Grund zur „Panik“. Oeter bekannte sich als „großer Fan des Thüringen-Projekts“, weil es die nötigen Schritte unternehme, um die „Schwachstellen in unserem institutionellen Aufbau“ zu vermessen und dann durch Handlungsempfehlungen helfe, diese Schwachstellen zu entkräften. Oeter verwies darauf, dass „wir seit Jahrzehnten Diskussionen über das Einzelweisungsrecht der Justizminister gegenüber den Staatsanwälten haben. Wenn ich mir einen thüringischen Justizminister entsprechender Couleur vorstelle, der da an seine Staatsanwaltschaft entsprechende Anweisungen gibt: Das ist eine völlig unnötige Flanke, die auch von Europa seit langer Zeit moniert wird.“ Die Politik sei bisher zu phlegmatisch und gehe dieses Problem nicht an, so Oeter. „Es liegt nicht daran, dass man nicht wüsste, was man tun müsste, sondern es liegt häufig daran, dass man sich so schön im Bestehenden eingerichtet hat als Politik.“

Rechtsstaatliche Resilienz stärken

Akademiemitglied Stefan Oeter hat gerade in den vergangenen Jahren die politischen Entwicklungen in Polen intensiv verfolgt und sieht hier beispielhaft vollzogen, wie Freiheitsrechte in Gefahr geraten. Aus seiner Sicht sei Freiheit vor allem in den Grundrechten gefasst, die gesellschaftliche Freiheitsräume gegenüber Zudringlichkeiten des Staates schützen. „Sobald Sie eine systemsprengende Partei haben mit Mehrheit, die ist dann in der Lage – und das wäre jetzt bei uns als Szenario auch nicht fernliegend – im bestehenden Rechtszustand das Recht durch einfache gesetzliche Regelungen zum Verfassungsgericht lahmzulegen oder auszuhebeln und damit dann natürlich auch den Freiheitsschutz auszuhebeln. Wenn Sie den Verfassungsschutz lahmlegen, dann können Sie auf der einfachen gesetzlichen Ebene im Grunde in die Grundrechte eingreifen. Und sie haben kein Verfassungsgericht mehr, das diese Angriffe abwehrt und aufhebt. Das heißt, da wird es dann auch für die Freiheit gefährlich.“

Welche Gefahren von der AfD ausgehen, darauf wies mehrfach auch Ann-Katrin Müller hin. Als Politikredakteurin beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ist sie seit fünf Jahren zuständig für die AfD. Auf dem Podium schilderte sie ihre Erfahrungen als Berichterstatterin etwa von AfD-Parteitagen und erzählte, welche Einschränkungen der Pressefreiheit sie bereits in ihrer Arbeit erfährt: Oft gäbe es keine Strom-Versorgung für Medienvertreterinnen und Medienvertreter. Es sei nicht möglich, sich frei zu bewegen und Gespräche zu führen. Hinzukämen laut Müller verbale wie körperliche Angriffe.

Müller betonte: „Die AfD ist so gefährlich, weil sie sich auch dafür rühmt, dass sie ‚die spannendste Rechtspartei Europas‘ sei. Rechtspartei meint Rechtsaußenpartei Europas, weil sie sich nicht mäßigen, weil sie eben nicht das machen, was andere in Europa machen. Also Georgia Meloni ist ihnen inzwischen zu gemäßigt. Marine Le Pen ist ihnen zu gemäßigt. Sie möchten das, was Viktor Orbán macht – mindestens. Und sie sehen auch nicht ein, sich mäßigen zu müssen.“ Bislang sei es der AfD egal gewesen, ob jetzt der Verfassungsschutz sie als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ einstuft oder ob irgendwelche Skandale rauskommen. „Die Partei wurde immer erfolgreicher. Das hat jetzt die letzten Monate ein bisschen nachgelassen.“ So Müller. Grundsätzlich habe sich dieser völkisch-nationalistische Kurs durchgesetzt.

Gefährlichkeit der AfD ist groß

Die Politikjournalistin Ann-Katrin Müller wies darauf hin, dass bereits „eine Minderheitenregierung zu wählen und zu stützen sehr viel Macht für die AfD wäre, weil sie die ganze Zeit drohen könnte: ‚Wir lassen das platzen.‘“ Sollten die AfD-Mitglieder weitere staatliche Machtmittel in die Hand bekommen, würden sie dann „sehr schnell sehr viele Dinge tun, die wir uns jetzt hier noch gar nicht so richtig vorstellen können“, prognostizierte Müller. Und mit Blick auf Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag und Spitzenkandidat der Partei in Thüringen, unterstrich sie: „Es ist ja auch kein Zufall, dass sich Höcke hinstellt und beim Landesparteitag Reden hält mit Aussagen, wie er den Rundfunkstaatsvertrag kündigt.“

Dass die Medien „sicherlich eines der ersten Ziele“ sein würden, bestätigte Lennart Laude vom Thüringen-Projekt. So etwa, falls in Thüringen die AfD mit Höcke den Ministerpräsidenten stellen würde. „Der erste und einfachste Schritt traurigerweise ist tatsächlich der Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der in Staatsverträgen und nicht in Gesetzen geregelt ist. In Thüringen ist es die alleinige Kompetenz des Ministerpräsidenten, über diese Kündigung von Staatsverträgen zu entscheiden.“ Es würde hier um die Staatsverträge für den MDR, die ARD und das ZDF gehen, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt vor „existenzielle Fragen“ stellen würde mit Blick auf seine Zukunft.

Rundfunkverfassungsgesetz schützt öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Stefan Oeter verwies in diesem Zusammenhang auf das Rundfunkverfassungsgesetz, das mit Blick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folge. „Das heißt, selbst wenn Sie einen Medienstaatsvertrag für eine Mehr-Länder-Anstalt kündigen, dann müssten sie nach dieser Rechtsprechung eigentlich eine Landesrundfunkanstalt aufbauen, die wiederum in einem sehr engen Korsett von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts steckt. Ich kritisiere selbst das Verfassungsgericht immer wieder gerne für Details dieser Rechtsprechung. Aber in dieser Situation ist es durchaus vorteilhaft, weil es nämlich dann bedeuten würde, dass so eine Landesregierung, selbst wenn sie eine Mehrheit im Landtag hätte, die könnte jetzt nicht einfach beliebig irgendeinen Propagandasender hinstellen, sondern sie müsste dann wiederum einen binnenpluralistischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Thüringen gründen. Ganz so einfach ist es also nicht, dass man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abräumen könnte.“

Im Fall einer Machtübernahme durch die AfD etwa in Thüringen schilderten die Podiumsgäste, womit sie rechnen. So etwa mit einem Schwächen der politischen Bildung – sei es durch die Landeszentralen für politische Bildung oder an allgemeinbildenden Schulen. Ann-Katrin Müller erinnerte daran, dass die AfD Inklusion an Schulen abschaffen will – entgegen der UN-Behindertenrechtskonvention. Sollte die AfD mindestens ein Drittel der Landtagsmandate etwa bei der Landtagswahl in Thüringen erhalten, verfügt sie über eine Sperrminorität. Damit könnte die AfD die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs gefährden und die Neubesetzung von Richterposten am Verfassungsgerichtshof verhindern. 

Müller geht davon aus, dass die AfD die Institution nicht komplett blockieren würde, sondern sagen würde: „Den wollen wir nicht, wir wollen dafür lieber den, der nämlich viel mehr so denkt wie wir“.

Moderatorin Birgit Langhammer lenkte die Diskussion auf die jüngsten Angriffe, die Vertreterinnen und Vertreter der Demokratie im Wahlkampf körperlich verletzt haben. Ihre Frage: Braucht es auch mit Blick auf die schon länger zu beobachtende Verrohung im politisch-gesellschaftlichen Diskurs härtere Strafen?

Justiz braucht mehr Geld und Mentalitätswandel

Rechtswissenschaftler Stefan Oeter verwies darauf, dass wir aktuell eine Justiz hätten, „die auf eine relativ brave, homogene Gesellschaft eingestellt ist und die darauf geeicht ist, nach Möglichkeit vollziehbare Freiheitsstrafen zu vermeiden“. Auch weil man wüsste, dass vor allem bei jüngeren Menschen sich „die Sackgasse“ verfestigen könnte. Mit Blick auf die Angriffe empfahl Oeter ein „symbolisch härteres Durchgreifen in bestimmten Situationen“. Das setze „einen Mentalitätswandel in der Justiz voraus“. In der Breite werde Strafverschärfung aber nichts bringen. Grundsätzlich sei laut Oeter „eine besser ausgestattete Justiz, die auch in der Lage wäre, zeitnahe Verfahren zu führen, wahrscheinlich das Wichtigste, was man als Politik machen könnte. Da müsste dann die Ausstattung der Justiz auch das entsprechende Geld wert sein.“

Politikredakteurin Ann-Katrin Müller ergänzte: „Wir bräuchten eine Polizei, die ein bisschen besser ausgestattet ist und auch ein bisschen besser ausgebildet ist.“ Etwa um Personen, die unter falschem Namen im Internet Desinformation und Hetze verbreiteten, schneller zu finden. Ansonsten, so Müller, „bräuchten wir vor allen Dingen gerade aktuell mehr Unterstützung der Zivilgesellschaft. Das ist viel wichtiger, dass die Leute nicht alleine gelassen werden, die sich tagtäglich für die Demokratie hinstellen, die bedroht werden, die die Fensterscheiben eingeschlagen bekommen, die Drohungen im Briefkasten haben.“

Aufmerksame Zivilgesellschaft muss Demokratie und Freiheit verteidigen

Lennart Laude vom Thüringen-Projekt unterstrich mit Blick auf die Frage „Wie sichern wir unsere Freiheit?“: „Die Freiheit und unsere Demokratie, den Rechtsstaat, wie er jetzt funktioniert, in dem leben wir alle und nur wir können ihn sichern. Nur die Zivilgesellschaft kann ihn sichern. Wir können nicht darauf warten, dass die Politik oder bestimmte Parteien das für uns tun. Und wir können auch nicht darauf vertrauen, dass das Grundgesetz so gut es funktioniert hat und hoffentlich noch lange funktioniert, dass uns das gegen solche Veränderungen immunisiert oder schützt“, bemerkte Laude. Die Ordnung, die das Grundgesetz uns gebe, die müsse tagtäglich gelebt werden. Ob in Alltagssituationen, in Vereinen oder am Arbeitsplatz – überall gehe es darum, die freiheitlich-demokratischen Werte zu verteidigen.

Politik in die Pflicht nehmen

 „Es kommt auf das Wir an!“, appellierte Laude. Ann-Katrin Müller vom „Spiegel“ pflichtete ihm bei, verwies aber auch darauf, dass nicht die Zivilgesellschaft ebenso wenig wie die Medien allein alles regeln könnten. „Da muss eben die Politik zur Verantwortung gezogen werden und eben auch unter Druck gesetzt werden im kommunikativen und demokratischen Sinne“. Etwa im Gespräch mit dem Wahlkreisabgeordneten oder auch über zivilgesellschaftliche Organisationen.

Rechtswissenschaftler Stefan Oeter stimmte beiden zu, weil mit Blick auf die Grundrechte nicht alles bis ins letzte Detail juristisch geregelt sein könnte. „Gegen manipulative Eingriffe in den Bereich kann wirklich nur eine aufmerksame Zivilgesellschaft helfen. Wir haben gar keine Alternative dazu.“

Dagmar Penzlin

Zusammenfassung auf NDR Info

Die Ausgabe von "Akademie aktuell" am 14.05.2024 fand in Kooperation mit NDR Info statt. In einer Zusammenfassung ist die Veranstaltung online als Podcast ebenso wie im Radioprogramm von NDR Info zu hören.

Sendung: NDR Info Hintergrund | 20.05.2024 | 07:04 Uhr und 16:04 Uhr | 48 Min

Moderation: Birgit Langhammer, NDR Info

Zur NDR Info Zusammenfassung