Mediathek###Akademie aktuell###Wie überlebt freie Forschung?

Wissenschaftsfreiheit ist die Basis von guter Wissenschaft

Veranstaltungsbericht zu Akademie aktuell am 11. November 2025

Forschung verständlich kommunizieren, ihre Standards und Methoden wie auch ihre Wissenschaftlichkeit der Politik ebenso wie der Gesellschaft erklären: Auf diese zentralen Aufgaben von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kamen die Podiumsgäste bei „Akademie aktuell“ am Dienstag, 11. November 2025, immer wieder zurück. So erschreckend die Entwicklungen in den USA sind, wo die gegenwärtige Regierung Wissenschaftsinstitutionen und Forschung insgesamt massiv attackiert, so zeigen die Umbrüche dort auch, worauf die Wissenschaft in Deutschland jetzt besonders achten sollte. Unter der Überschrift „Wissenschaft im Fadenkreuz. Wie überlebt freie Forschung?“ diskutierten auf Einladung der Akademie der Wissenschaften in Hamburg die Biologin Christine Falk, der Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig und der Virologe Thomas Mettenleiter auch mit Blick auf die Corona-Pandemie. Das Publikum im Hamburger resonanzraum verfolgte die Diskussion mit großer Aufmerksamkeit und steuerte Fragen bei. Die Zusammenfassung der Veranstaltung war im Programm von NDR Info am Sonntag, 16. November 2025, um 19:00 Uhr zu hören. Die Sendung ist im Online-Angebot von NDR Info verfügbar.

Die Podiumsdiskussion war die achte Ausgabe von „Akademie aktuell“. Die Frage Wissenschaft im Fadenkreuz. Wie überlebt freie Forschung?“ diskutierten am 11. November 2025 in Hamburg, im resonanzraum:

  • Prof. Dr. Christine Falk, Professorin für Transplantationsimmunologie, Medizinische Hochschule Hannover, Mitglied des Wissenschaftsrates
     
  • Prof. Dr. Hans Michael Heinig, Professor für Öffentliches Recht, insb. Kirchen- und Staatskirchenrecht, Georg-August-Universität Göttingen und Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD
     
  • Prof. Dr. Thomas Mettenleiter, Professor für Virologie und Präsident a.D., Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (Insel Riems bei Greifswald), Akademiemitglied und Sprecher der Arbeitsgruppe „One Health“

Birgit Langhammer von NDR Info moderierte die Podiumsdiskussion.

Wissenschaftsfreiheit als „pflichtengebundene Freiheit“

Zum Einstieg fragte Moderatorin Birgit Langhammer die Podiumsgäste nach ihrem konkreten Verständnis von Wissenschaftsfreiheit. Für Biomedizinerin Prof. Dr. Christine Falk ist diese Freiheit nicht absolut, sondern sie ist stets im Bezug zu den jeweiligen Hochschulrahmengesetzen zu sehen. Diese seien bei Experimenten im Labor ebenso zu beachten wie auch ethische Fragen. Virologe Prof. Dr. Thomas Mettenleiter betonte die grundsätzliche Ethik, die stets individuell vorhanden sein sollte. Ebenso verwies er auf Artikel 5 im Grundgesetz, der unter anderem eine freie, verfassungstreue Wissenschaft garantiere. Deutschland sei da „beispielgebend“. Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hans Michael Heinig betrachtet die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland als „pflichtengebundene Freiheit“. Es gehe nicht um Selbstverwirklichung, sondern um Methoden und Standards – auch in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Diese Wissenschaftlichkeit deutlich zu unterstreichen – gerade etwa in der Wissenschaftskommunikation – sei wichtig, auch um Entwicklungen wie in den USA zu vermeiden. Hier hätten gerade die „Humanities, also die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, sehr stark politisch aktivistisch agiert“.

Heinig unterstrich, dass Deutschland „die Wissenschaftsfreiheit geradezu erfunden“ habe. Und zwar als Grundrecht: 1849 wurde die Wissenschaftsfreiheit als Grundrecht in die Paulskirchenverfassung aufgenommen. „Viele Staaten haben gar keine Wissenschaftsfreiheit in dem Sinne, wie wir es verfassungsrechtlich garantiert haben, insbesondere auch nicht die USA“, erklärte der Rechtswissenschaftler. In den USA sei die Wissenschaftsfreiheit stark arbeitsrechtlich geprägt. In Deutschland verteidigt die Wissenschaftsfreiheit die Wissenschaft gegen die mögliche Übergriffigkeit des Staates.

Wissenschaftsfreiheit in Deutschland erfunden

Weitere Mechanismen sichern die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland ab. Dazu gehörten das föderale Bund-Länder-System ebenso wie der Wissenschaftsrat durch seine besondere Konzeption als Gremium. Seine Mitglieder werden berufen über den Bundespräsidenten auf gemeinsamen Vorschlag der Deutsche Forschungsgemeinschaft und der großen Wissenschaftsorganisationen wie der Helmholtz-Gemeinschaft oder der Max-Planck-Gesellschaft. Christine Falk als Mitglied des Wissenschaftsrates berichtete: „Wir diskutieren sehr viel, wie wir unsere Arbeit gestalten. Denn jede Stellungnahme des Wissenschaftsrates ist grundsätzlich abgestimmt mit allen 16 Bundesländern und dem Bund. Jetzt können Sie sich vorstellen, wie wir manchmal um Formulierungen ringen und vor allem dann, wenn es um die Frage geht: Wer zahlt im Bundesländerausgleich?“

Im Wissenschaftsrat habe man sich abgesichert in der Frage, wie einstimmig diese Papiere verabschiedet werden müssten, erklärte Falk: „So dass wir auch in der Lage sind, selbst wenn es Mitglieder gäbe, die diese Dinge nicht mittragen, dass wir trotzdem diese Stellungnahmen publizieren können“. Hans Michael Heinig verwies zudem auf die deutschen Universitäten, die als Selbstverwaltungskörperschaften organisiert seien und damit verfassungsrechtlich besonders geschützt seien. „Da sind wir gar nicht so schlecht aufgestellt“, bemerkte der Göttinger Jura-Professor. „Das kann auch eine Stärke werden.“

In den USA gibt es aktuell eine lange Liste von Wörtern wie etwa Klimawandel und Gender, die aus politischen Gründen in Regierungsdokumenten nicht mehr vorkommen dürfen. Das sorge etwa bei Fördergeld-Anträgen für eine „Schere im Kopf“, berichtete Christine Falk. Als Beispiel nannte sie einen Antrag für Forschung an transgenen Mäusen. Das Adjektiv „transgen“ ist ein Begriff aus der Genetik. Aufgrund der Nähe zu als verboten gelisteten Wörter entsteht hier ein Problem: „Wenn dann die Anträge nicht mehr bewilligt werden, dann muss man diese Forschung tatsächlich anders formulieren“, sagte die Biomedizinerin. “Da wird es dann wirklich kritisch. Das ist eine echte Einschränkung, weil man dann die wissenschaftlichen Fragen nicht mehr formulieren und weil man die Experimente dazu gar nicht mehr in den Antrag schreiben kann.“

USA als Forschungsstandort nicht zu ersetzen

Was die US-amerikanische Wissenschaftsszene anbelange: So sehr sie durch die Attacken der Trump-Regierung unter Druck geraten ist, nach wie vor besitze sie Strahlkraft, stellte Hans Michael Heinig fest. „Wenn man sich mal anschaut, welche Summen in diesem Wissenschaftssystem umgesetzt werden: Keiner in der Welt kann das ersetzen“, gab er zu bedenken.

Lange hätte man mit Blick auf die großen, wohlhabenden Ivy-League-Universitäten wie etwa Harvard, Princeton, Yale – gedacht, dass diese aufgrund ihres jeweiligen Stiftungskapitals gar nicht auf den Staat angewiesen seien, anders als die kleinen deutschen öffentlich-rechtlichen Universitäten. Insbesondere in den Naturwissenschaften, aber auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften seien die USA nach Heinigs Einschätzung ein interessanter Ort mit großer Strahlkraft, der aber eben nun mit großen Herausforderungen zu kämpfen habe etwa bei der Visa-Erteilung.

Jetzt stünden grundsätzliche Fragen im Raum, betonte Hans Michael Heinig: „Was kann ich überhaupt forschen? Wie viel Freiheit, wie viel ernsthafte Wissenschaft kann ich betreiben? Denn das ist ja die Pointe von Wissenschaftsfreiheit: Sie ist ja kein Luxus, sondern von der Wissenschaftsfreiheit hängt ab, dass ich überhaupt Wissenschaft betreibe. Wenn ich vom Staat diktiert bekomme, was ich erforschen soll, ist es schon keine ernsthafte und richtige Forschung mehr. Wenn die Unternehmen mir sagen, was ich eigentlich herausbekommen soll und ich keinen offenen Erkundigungsprozess mehr habe, dann ist es ja keine Forschung mehr. Insoweit werden wir mal sehen, wie sich das weiterentwickelt in den USA.“ Heinig fragt sich, wann der Moment komme, wo der wissenschaftliche Prozess dysfunktional wird. Er sei gespannt, „wann wir anfangen können, das zu beobachten“.

Attacken auf Wissenschaftsfreiheit analysieren

Interessant sei gewesen, wie Harvard reagiert habe, als die traditionsreiche Universität von der Trump-Regierung angegriffen worden sei. Da hätten die Verantwortlichen als Erstes ihre Homepage überarbeitet und gleich auf die Startseite Antworten gestellt auf Fragen wie: Was leistet die Forschung? Inwieweit profitiert eine Gesellschaft davon, dass es Hochleistungswissenschaft gibt? Und Heinig betonte: „Das ist eine Möglichkeit, damit umzugehen. Und wir wären schön doof, wenn wir es nicht machen würden. Wenn wir unseren Job gut machen, versuchen wir aber auch zu verstehen, was hinter Attacken auf Wissenschaft steckt.“ Beziehungsweise, ergänzte er: „Welche gesellschaftlichen Triebkräfte stehen hinter solchen Entwicklungen?“

Diese Selbst- und Fremd-Reflektion gut zu kommunizieren zahle auf Resilienz und Glaubwürdigkeit von Wissenschaft ein, so Heinig. Überhaupt zogen sich Gedanken und Fragen rund um gute Wissenschaftskommunikation wie ein roter Faden durch die Diskussion. Christine Falk erinnerte sich als Immunologin gut an die Herausforderung, während der Corona-Pandemie öffentlich zu kommunizieren. „Wir sollten das mitnehmen, was wir gelernt haben, wir sollten vorsichtiger kommunizieren und unsere Grenzen kennen.“ Gerade auch in dem wissenschaftlichen Diskurs mit der Politik. „Es ist mal mehr, mal weniger gelungen. Ein Training vorher wäre schlauer gewesen.“

Wissenschaftskommunikation verbessern

Auch Thomas Mettenleiter bewegt das Thema. „Offensichtlich kommt das, was wir tun und was wir an Überzeugung haben, zumindest in bestimmten Bevölkerungsschichten nicht an, respektive wird bewusst negiert und ignoriert.“ Er fragt sich: „Was kann Wissenschaft anders und besser machen? Was ist ihre Bringschuld?“ Wie heute kommuniziert werde, das unterscheide sich deutlich von dem, wie es sich vor 20 Jahren gestaltet habe. „Ich bin darauf nicht vorbereitet in irgendeiner Art und Weise“, bekannte Mettenleiter. Ihn beschäftigt, warum Donald Trump mit seiner Verweigerungshaltung einen offensichtlich großen Zulauf habe.

Hans Michael Heinig verwies an dieser Stelle der Diskussion darauf, dass Wissenschaft eben auch aushalten müsse, wenn gesellschaftliche Mehrheiten sich von der Wissenschaftlichkeit abwendeten. „Und das, was wir machen müssen, ist immer wieder zu sagen: ‚Das ist das, was wir beitragen können.‘ Das ist, sagen wir mal, qualitätsgesicherte Wissensgenerierung, die nur die Wissenschaft betreiben kann und niemand anders. Und wie die Gesellschaft damit umgeht, das ist ein offener Prozess. Wir werben dafür, dass das so gut, wie es geht, verarbeitet wird. Wir möchten ja auch eine Gesellschaft aus der Wissenschaft heraus adressieren, die vernünftigen Argumenten zugänglich ist.“ Das sei in der Regel für eine Gesellschaft von großem Vorteil. Es werde so wirtschaftlicher Wohlstand generiert. „Wir leben gesünder, wir haben eine bessere Lebensqualität. Es gibt 1000 gute Gründe, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verarbeiten, auch politisch zu verarbeiten. Aber das, was wir machen, das können wir nicht sichern, das können wir nicht garantieren. Was wir nur machen können, ist: werben, kommunizieren, auf Standards setzen und unseren Job so gut wie möglich machen.“

Dagmar Penzlin