Wie ein Reallabor Klimaschutz gelingen lässt

Veranstaltungsbericht zu Akademie aktuell am 20. November 2024

Wenn es vor der eigenen Haustür mit dem Klimaschutz klappt, stärkt das die Gemeinschaft an diesem Ort. Zugleich braucht es soziale Arbeit, um das Bewusstsein für Klimaschutz zu stärken. Diese Zusammenhänge beleuchtete am Beispiel vom Projekt „Klimafreundliches Lokstedt“ die Podiumsdiskussion in der Veranstaltungsreihe „Akademie aktuell“ der Akademie der Wissenschaften in Hamburg. Klimaforscher und Akademiepräsident Prof. Dr. Mojib Latif ordnete das Projekt in das weltweite Ringen um Klimaschutz ein. Projektleiterin Prof. Dr. Anita Engels, Soziologin und Akademiemitglied, berichtete von ihren Erkenntnissen aus dem Lokstedter Reallabor – gemeinsam mit lokalen Akteuren. Ein Leitmotiv der Diskussion war die Beziehung zwischen lokalem Engagement und globaler Perspektive. Die Veranstaltung war ausgebucht.

Die Podiumsdiskussion zur Frage „Mitwirken statt spalten – Wie wird die Klimakrise zur gesellschaftlichen Chance?“ fand am 20. November 2024 in Hamburg, im resonanzraum statt. Auf dem Podium:

  • Prof. Dr. Anita Engels, Soziologin an der Universität Hamburg; Mitglied im Vorstand des Exzellenzclusters CLICCS – Climate, Climatic Change, and Society und Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg
  • Ralf Helling, Geschäftsführer des Vereins Lenzsiedlung e.V. in Hamburg
  • Prof. Dr. Mojib Latif, Klimaforscher am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg
  • Jan-Philipp Stephan, Fachamtsleiter des Fachamts Stadt- und Landschaftsplanung beim Bezirksamt Eimsbüttel

Birgit Langhammer von NDR Info moderierte die Podiumsdiskussion.

„Interaktive Formate finden“

Wie ein ganzer Stadtteil Klimaschutz intensiver und vor allem konkret betreiben kann, das hat das Projekt „Klimafreundliches Lokstedt“ von 2016 bis 2022 erkundet. Die Soziologin Prof. Dr. Anita Engels von der Universität Hamburg hat das Projekt geleitet: Gemeinsam mit dem Bezirksamt Eimsbüttel und der lokalen Bevölkerung sind „Urbane Transformationslabore“ entstanden. Im Zentrum standen nachhaltige Formen der Abfallwirtschaft, der Haushaltsenergie und der Mobilität. Zu Beginn der Diskussion erläuterte Akademiemitglied Anita Engels die Methode „Reallabor“, die laut Engels seit 2014 „groß geworden“ sei, wobei es sehr unterschiedliche Formen von Reallaboren gäbe. In Lokstedt war es die Form eines Transformationslabors, das sehr konkret Klimaschutz-Maßnahmen entwickelt und ausprobiert. „Hier muss man eben gucken, wie man immer wieder in verschiedenen Formaten die Menschen aus dem Stadtteil anspricht und in dieses Projekt einbezieht“, erzählte die Soziologin. Man müsse interaktive Formate finden. Dabei gelte es, an Themen anzuknüpfen, die vor Ort relevant seien. „Dazu muss man den Ort überhaupt erst mal kennenlernen“, betonte sie.

So hat das Team um Anita Engels in Haushalten Interviews geführt zum Thema „Abfallentsorgung“. Diese Interviews warfen zunächst Fragen auf, wie die Projektleiterin bei „Akademie aktuell“ berichtete:
• Was könnte eine klimafreundliche Langzeitstrategie sein?
• Wie sortieren wir unseren Müll am besten so, dass man ihn energetisch verwerten kann?
• Wie gelingt es, Müll zu vermeiden?

Anita Engels: „Dann kommen die Bewohner schon auf Ideen wie: 'Wir brauchen viel stärker Abfallvermeidung, auch Elemente von Tauschwirtschaft.‘ Und so haben wir nach und nach durch diese Interviews und im Austausch mit Experten versucht, eine Transformationsagenda zu erstellen.“ Diese Transformationsagenda umfasste konkrete Maßnahmen, wie sich die Klimaschutz-Ideen in Lokstedt umsetzen lassen. Die Corona-Pandemie beeinträchtigte dann leider die zweite Projektphase ab 2020, in der es um die Umsetzung dieser Ideen ging. Auch wenn der Stadtteil nicht so stark wie geplant transformiert werden konnte, resümiert Anita Engels: „Wir haben sehr viele Ziele erreicht, die eine wichtige Grundlage schaffen dafür, dass der Stadtteil eher in der Lage ist, Transformationen in aktiver Trägerschaft mitzumachen.“

Durch Klimaschutz gewinnen

Klimaforscher und Akademiepräsident Prof. Dr. Mojib Latif betonte die Kraft solcher Reallabore, um die Akzeptanz in der Bevölkerung für Klimaschutz zu steigern. „Wir müssen das Soziale mitdenken. Und bis jetzt, glaube ich, haben wir es viel zu wenig gemacht. Deswegen laufen wir Gefahr, dass Klimaschutz zu einer Art Reizwort wird: Die Leute haben das Gefühl, sie verlieren etwas – zum Beispiel Wohlstand.“ Reallabore seien laut Latif wunderbar geeignet, um den Menschen zu zeigen, dass sie nichts verlören durch Klimaschutz. „Ganz im Gegenteil: sie gewinnen“, unterstrich Latif, „wenn man es vor Ort wirklich erlebt, dann werden die Vorteile von Klimaschutz greifbar.“ Er verwies auf den berühmten Satz: Global denken, lokal handeln. „Natürlich ist die Erderwärmung ein globales Problem, das nur alle auf der Welt gemeinsam lösen können: alle Länder gemeinsam! Aber man muss die Dinge natürlich lokal vor Ort machen. Je mehr Kommunen das machen, umso mehr kann das Land oder dann vielleicht auch die Welt davon profitieren.“

Die Diskussion streifte die jährlichen Weltklimakonferenzen, die zuletzt mit eher schwachen Beschlüssen endeten. Mojib Latif würde sie trotzdem nicht abschaffen wollen, weil diese Konferenzen doch immer wieder die Dringlichkeit des Klimawandels ins Bewusstsein der Öffentlichkeit riefen und den armen Ländern des globalen Südens ein Forum gäben. Auch neue Technologien würden dort vorgestellt. Von den Weltklimakonferenzen zu den „Lokstedter Klimakonferenzen“ schlug Jan-Philipp Stephan, Fachamtsleiter des Fachamts Stadt- und Landschaftsplanung beim Bezirksamt Eimsbüttel, den Bogen. Bis zu 60 Personen hätten da zum Beispiel mit Abgesandten der Stadtreinigung über das Abfall-Thema gesprochen. Die anwesenden Planer und auch die Verwaltung hätten sich gefragt: „Wo sind denn die Müllstandorte? Im Haus und auch im Quartier?“ Zentral waren dabei Fragen wie: „Könnt‘ Ihr nicht eine kleinere Tonne nehmen oder einen anderen Zyklus? Was zahlt jeder an Müllgebühren?“ Es ging auch darum, wie man mit Klimaschutz Geld sparen könne, erzählte Stephan: „Wenn ich die graue Tonne nur jedes zweite Mal rausstelle, spare ich die Hälfte der Gebühren. Diese Erkenntnis haben wir in Lokstedt den anwesenden Leuten durch die Stadtreinigung beigebracht und damit Verhaltensweisen geändert. Insofern ist es eben dieses lokale Handeln: Das wiegt China und USA nicht auf, aber es trägt dazu bei, dass man selber ein bisschen seine Handlungswirksamkeit spürt.“

Unbequeme Fragen waren lehrreich

Fachamtsleiter Jan-Philipp Stephan schilderte ebenso anschaulich, wie das Forschungsvorhaben „Klimafreundliches Lokstedt“ geholfen habe mit dem Wachstumsstress im Stadtteil umzugehen. Lokstedt ist laut Stephan einer der am stärksten wachsenden Stadtteile in Hamburg. Das Forschungsvorhaben habe nicht nur Verwaltungspraxis und Wissenschaft zusammengebracht, sondern auch die Bevölkerung. Die Frage war: „Was passiert denn mit dem Stadtteil? Und diesen Drive haben wir aufgenommen. ‚Okay, wenn Ihr sowieso da seid und Euch beschwert oder Euch für Euren Stadtteil interessiert, dann lasst uns doch gucken: Können wir nicht auch andere Thema bewegen?‘“ Das seien insbesondere Energie und Mobilität gewesen. „Wenn wir mehr Leute werden, gibt es vielleicht andere Formen der Mobilität“, sagte Stephan. „Das war für die Verwaltung neu, in ein Forschungsvorhaben einzusteigen, unbequeme Fragen zu bekommen, auf die man selber auch nicht sofort die Antwort weiß. Aber wir haben viel gelernt aus Lokstedt für andere Stadtteile, auch für andere Stadtteile außerhalb des Bezirks und wir haben uns auch vernetzt mit anderen Kommunen über dieses Forschungsvorhaben.“

Projektleiterin Anita Engels berichtete, wie sie die Arbeit am „Klimafreundlichen Lokstedt“ geerdet habe durch „dieses Zusammendenken von globaler Transformation und dem Lokalen. Das muss man auch wirklich erst mal in Angriff nehmen. Aber für mich ist das der Wert von solchen Reallaboren.“ So Engels. Eigentlich müsse es davon sehr viele geben. Nicht nur hier in Hamburg, nicht nur in Deutschland. Und es müssten sehr viele Leute in diesen Modus kommen. Die Soziologin würde das Ziel nicht als „Akzeptanz“ beschreiben: Das klinge „so passiv: ‚Also wir haben hier eine tolle Transformationsidee, und jetzt sollt Ihr das akzeptieren und die Klappe halten.‘ Das schwingt für mich immer so ein bisschen mit. So ist es nicht gemeint. Man muss eben gemeinsam mit sehr unterschiedlichen Gruppen in der Bevölkerung das Wie entwickeln: Wie kann man sich eine klimafreundliche Gesellschaft positiv vorstellen? Zum Beispiel eine Mobilitätsform in einem Stadtteil. Und was kann das für ein Gewinn sein? Welche Schritte sind aber dahin zu tun? Und das fand ich so spannend an der Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt, weil dann diese Schritte überhaupt erst mal deutlich werden.“ Anita Engels denkt da konkret an die mühsamen Schritte, die gegangen werden müssen, um nur eine Straße temporär umzuwidmen.

Welche auch ablehnenden Reaktionen es gibt, wenn im öffentlichen Raum ein paar Parkplätze verschwinden, um einen Treffpunkt zu gestalten, davon konnte Ralf Helling berichten. Als Geschäftsführer des Vereins Lenzsiedlung e.V. in Hamburg-Lokstedt hat er im Rahmen des Projekts „Klimafreundliches Lokstedt“ Erfahrungen damit gesammelt. Seine Beiträge zur Podiumsdiskussion machten deutlich, wie sehr es soziale Arbeit erfordert, um ein Bewusstsein für Klimaschutz zu schaffen. Für viele Menschen in der Lenzsiedlung geht es erstmal darum, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, Geld für Essen und Miete zu verdienen. „Klima ist an der Stelle eher etwas, was die soziale Ungleichheit, die sowieso schon viele Menschen, mit denen wir es zu tun haben, betrifft, noch verschärfen wird.“ So Helling. Er ist überzeugt, dass Gespräche mit den Menschen ein gangbarer Weg sein könnten, um Bewusstheit zu schaffen. Gut erinnert sich Helling zugleich an die ersten Reaktionen von Menschen aus der Lenzsiedlung auf die umgewidmeten Parkplätze: „Die haben gefragt: ‚Seid Ihr total bescheuert? Wie könnt Ihr uns unsere Parkplätze wegnehmen?‘ Also das war eine basale Erfahrung, die wir da gemacht haben und die für uns als Verein wirklich außerordentlich wichtig war.“

Als ähnlich lehrreich erwies sich ein Gartenprojekt als selbst gewählte Maßnahme, um den CO2-Ausstoß des Vereins zu kompensieren: „Da nehmen wir einfach prophylaktisch im Jahr ein bisschen Geld in die Hand und besprechen gemeinsam mit den Leuten, mit denen wir in Kontakt sind, dieses Klima-Thema. Was wollen wir damit machen?“ Das kleine Gartenprojekt startete mit einigen wenigen Leuten aus der Bewohnerschaft, die Interesse daran hatten, das auch zu tun. Helling berichtete begeistert vom Wert so eines Projekts: „Wir sind schrittchenweise mit Suchbewegungen an dieses Thema herangegangen und haben erste Erfahrungen gemacht. Wie funktioniert das? Weil wir Profis sind darin, beteiligungsorientiert, eben partizipativ mit den Menschen vor Ort ihre eigenen Themen zu behandeln und mit denen Lösungen zu finden. Das funktioniert in der sozialen Arbeit sehr gut.“

Teilhabe stärkt Selbstwirksamkeit

Das direkte Gespräch mit Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit hält Soziologin Anita Engels ebenfalls für sehr hilfreich. Durch die Klimakrise verteuerten sich etwa bestimmte Konsumgüter oder Lebensstile insgesamt. So Engels. „Das sind die Betroffenheiten, die ich dann in der Lenzsiedlung besprechen würde, um anzudocken an solche Themen.“ Gleiches gilt für Extremwetter. Wobei hier wichtig sei, wie man darüber spricht. „Wir haben das genannt 'Erfahrungen mit gefährlichem Wetter‘, weil das das Phänomen einfach in eine andere Sprache übersetzt.“ Der Bezug zur eigenen Erfahrung sei bei sehr vielen Menschen leichter gegeben, die aus rund 60 Ländern in die Lenzsiedlung gekommen sind. Oft gibt es noch über Familienbeziehungen einen Bezug zu Orten, wo Extremwetterereignisse an der Tagesordnung sind. Anita Engels: „Man muss nicht sagen: 'Ach ja, Klimawandel, das akzeptiere ich jetzt mal, dass das für uns ein Problem ist.‘ Sondern man kann an ganz konkreten Erfahrungen mit gefährlichem Wetter anknüpfen und kann davon aus das Gespräch weiterführen.“

Akademiepräsident Mojib Latif stimmte Engels auch aus seiner Perspektive als Klimaforscher bei, dass Wissenschaft sich dem Alltag der Menschen zuwenden sollte. „Wissenschaft läuft immer wieder Gefahr, im Elfenbeinturm zu verweilen, und das geht nicht“, betonte Latif. „Klar, Grundlagenforschung muss sein, die ist absolut notwendig. Aber Wissenschaft muss an die Lebenswirklichkeit der Menschen rankommen, sonst wird das einfach nichts.“

Soziologin Anita Engels wies außerdem darauf hin, wie wichtig es sei, auf übergreifende Zusammenhänge hinzuarbeiten, nämlich „dass eine klimafreundliche Gesellschaft auch eine sichere Gesellschaft ist und dass sie eine solidarische Gesellschaft sein kann mit einer hohen Lebensqualität. Und das muss man ja erst mal erarbeiten und eben bis hinunter auf diese kleinteiligen Ebenen gehen.“

Klimafreundliche Gesellschaft ist eine solidarische Gesellschaft

Die Podiumsdiskussion fragte auch nach den Ergebnissen des Projekts „Klimafreundliches Lokstedt“. Anita Engels und ihr Forschungsteam haben im Oekom Verlag ein Forschungstagebuch veröffentlicht mit dem Titel „Erlaubt, machbar, utopisch?“: Es ist ein Blick hinter die Kulissen, der andere inspirieren darf. Und wie sieht die Bilanz vor Ort aus? Anita Engels: „Wir haben jetzt nicht den Stadtteil transformiert. Aber wir haben sehr viele Ziele erreicht, die eine wichtige Grundlage schaffen dafür, dass der Stadtteil eher in der Lage ist, solche Transformationen auch in aktiver Trägerschaft mitzumachen.“

Was auch entstanden ist, das sind die Verbindungen zwischen Menschen und Initiativen. „Es gibt so was wie 'Lokalkraft‘, also eine Vernetzung von Zukunftswerkstätten und einfach ganz vielen Initiativen in allen Stadtteilen in Hamburg, die weitermachen. Und das ist ein ganz wichtiger Prozess, das zu beobachten.“  Die Leute verlören zum Glück nicht den Mut, stellte Engels fest: „Sie haben auch Spaß daran, gemeinsam was auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Und das ist aber auch etwas, wo dann die Stadt wieder sehr fördern kann. Sie kann das Ehrenamt fördern, sie kann das absichern.“ Damit lokales Handeln verstetigt und so auch global wirksam wird.

Dagmar Penzlin

Zusammenfassung auf NDR Info

Die Ausgabe von "Akademie aktuell" am 20.11.2024 fand in Kooperation mit NDR Info statt. In einer Zusammenfassung ist die Veranstaltung online als Podcast ebenso wie im Radioprogramm von NDR Info zu hören.

Sendung: NDR Info Hintergrund | 24.11.2024 | 19:00 Uhr | 56 Min

Moderation: Birgit Langhammer, NDR Info

Zur NDR Info Zusammenfassung

 

 

Zentrale Aussagen

• Bezüge zur eigenen Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger herzustellen gehört zum wirksamen Gespräch über die Klimakrise.

• Es hat sich bewährt, die Gesellschaft mit interaktiven Formaten in den Klimaschutz einzubeziehen.

• Lokale Klimaschutzmaßnahmen vieler stärkt Selbstwirksamkeit der einzelnen Person.

• Es lohnt, globale und lokale Transformation zusammenzudenken.

• Professionelle Sozialarbeit ist notwendig, um Bewusstsein für Klimaschutz zu schaffen und Teilhabe zu ermöglichen.