„Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Das können ganz unterschiedliche Erreger sein: Viren, Bakterien - Resistenzen. Und da ist es einfach wichtig, dass wir eine breite Basis von Wissen haben, auf die wir dann im Notfall schnell zurückgreifen können.“
Prof. Dr. Barbara Bröker plädiert für Grundlagenforschung: Als Infektionsimmunologin weiß sie besonders gut, wie wichtig es ist, über ein möglichst breites Spektrum an Therapie-Möglichkeiten zu verfügen, um erkrankten Menschen helfen zu können. Die Behandlung gerade von Infektionskrankheiten wird erschwert maßgeblich durch Antibiotika-Resistenzen, also durch den Umstand, dass Antibiotika bei bakteriellen Infektionen nicht mehr wirken.
Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Tatsache, dass sich fortlaufend neue Infektionserreger entwickeln, hat die Arbeitsgruppe „Infektionsforschung und Gesellschaft“ der Akademie der Wissenschaften in Hamburg zusammen mit dem Greifswalder DFG-Graduiertenkolleg 2719 und dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald eine internationale Fachtagung veranstaltet: Im Februar 2023 kamen 15 Vortragende in Greifswald, im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg zusammen. Titel der Tagung: „Anti-infektive Strategien der Zukunft – Prävention, Diagnostik, Therapie“.
Barbara Bröker hat die Tagung mitorganisiert und moderiert. Viele der vorgestellten und diskutierten anti-infektiven Strategien beschäftigen sich mit der Grundlagenforschung zu Therapien – und darum geht es in diesem Schlaglicht zu Folge 9 unseres Podcasts „Wissenschaft als Kompass“. Sie hören Auszüge aus dem Gespräch mit Barbara Bröker.
Mein Name ist Dagmar Penzlin, ich bin Referentin für Kommunikation an der Akademie der Wissenschaften in Hamburg: Hallo!
Prof. Dr. Barbara Bröker ist Professorin für Infektionsimmunologie an der Universitätsmedizin Greifswald. Sie leitet dort das Institut für Immunologie. Seit 2018 ist sie Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und engagiert sich in der Arbeitsgruppe „Infektionsforschung und Gesellschaft“.
Das weltweite Auftreten von Antibiotika-Resistenzen gehört nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den größten Gefahren für die menschliche Gesundheit. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sterben (so Stand 2022) jährlich rund 1,3 Millionen Menschen aufgrund antimikrobieller Resistenzen
Verantwortlich für diese Situation ist zum einen der nicht sachgerechte Einsatz von Antibiotika und zum anderen der Selektionsdruck der Krankheitserreger untereinander: Oft schon wenige Jahre nach Einführung eines neuen Antibiotikums setzen sich Bakterien durch, die gegen das Medikament resistent sind. Nur auf das Werkzeug „Antibiotikum“ zu setzen ist also keine Lösung. Für Barbara Bröker lautet die Konsequenz:
„Wir müssen unseren Werkzeugkasten gegen Infektionserreger ständig erweitern. Und da ist in der Vergangenheit einiges versäumt worden, so dass – und das ist ja das große Problem: einerseits entwickeln die Bakterien Resistenzen oder resistente Bakterien breiten sich aus, andererseits hat die pharmazeutische Industrie wenig in der Pipeline. Und das Wenige, das sie dahaben, bedient ähnliche Wirkmechanismen wie die bereits vorhandenen Antibiotika. Da klafft also eine riesige Lücke. Das weiß man seit Langem. Und in der Tagung sollte es eben darum gehen, was könnte man machen, um diese Lücke zu schließen.“
Im Rückblick stellt Barbara Bröker fest, dass die Tagung das gesteckte Ziel voll erreicht hat.
„Da bin ich immer noch begeistert. Denn das Spektrum, über das berichtet wurde, das reicht von Substanzen, die möglichst viele Pathogene gleichzeitig eliminieren sollen bis zu Verfahren, bei denen von Hunderten mikrobiellen Darmbewohnern einer gezielt ausgeschaltet wird, ohne den anderen zu schaden. Das heißt diese Ansätze, die bewegen sich in einem magischen Dreieck: das Mikrobiom / die mikrobiellen Gemeinschaften, das Immunsystem und der Stoffwechsel – der Stoffwechsel des Menschen, aber auch der Stoffwechsel der Erreger. Und so gibt es jetzt außer den Vakzinen noch andere Strategien, wie man nicht direkt den Infektionserreger bekämpft, sondern den Organismus des Patienten ansteuert, um das gestörte Gleichgewicht mit der mikrobiellen Welt wiederherzustellen.“
Vielversprechend sind in dieser Hinsicht beispielsweise die antiviralen Substanzen, wie sie der Chemie-Professor Chris Meier an der Universität Hamburg mit seiner Arbeitsgruppe entwickelt. Meier, auch ein Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, hat somit Breitspektrum-Virostatika im Blick, die gleich eine ganze Reihe von Krankheitserregern hemmen sollen.
„Viren sind ja in dem Sinne keine Lebewesen, sondern sie versklaven die Zelle, die dann weitere Viren produziert. Und da greift Chris Meier mit seinen Substanzen an, um zu versuchen, Breitspektrum-Virostatika zu entwickeln, die dann - das ist sein Ziel - nach dem Motto ‚one drug, multiple bugs‘ möglichst gleich alle RNA-Viren zu hemmen. Er setzt dabei auf falsche Bausteine, Nukleosid-Analoga heißen die, die bei der RNA-Polymerisierung, das heißt, wenn die virale RNA, die virale Erbinformation vermehrt wird, die dort dann eingebaut werden und dann das nachhaltig stören. Zum Beispiel dadurch, dass sie den RNA-Strang abbrechen lassen oder sehr viele Mutationen dort einfügen, so dass dann keine funktionellen Viren mehr entstehen können.“
Nukleosid-Analoga wurden bereits 1987 zur HIV-Therapie zugelassen. Sie bilden heute das Rückgrat jeder HIV-Therapie. Auch bei einigen anderen Viren bewähren sie sich. So etwa bei Infektionen mit Hepatitisvirus B. Viele RNA-Viren können jedoch noch nicht auf diese Weise therapiert werden.
„Und Chris Meiers Idee ist jetzt, so trickreiche Substanzen herzustellen, dass die möglichst viele Viren hemmen können. Und solche Breitspektrum-Virostatika haben wir noch nicht. Breitspektrum-Antibiotika sind uns geläufiger.“
Auf der Greifswalder Fachtagung war mit Rolf Müller der Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (kurz: HIPS) zu Gast; er ist Professor für Pharmazeutische Biochemie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und erhielt den Leibniz-Preis 2021 für seine Beiträge zur Bekämpfung Antibiotika-resistenter Krankheitserreger. In Greifswald hat Rolf Müller über Myxobakterien gesprochen: eine große Ordnung räuberischer Bakterien, die andere Mikroorganismen töten. Myxobakterien sind wenig erforscht. Müllers Arbeitsgruppe hat hier durch Forschung Substanzen mit neuen antibiotischen Wirkungsweisen entdeckt.
Naturstoffe seien schon immer eine gute Quelle für antimikrobielle Wirkstoffe gewesen, sagt Infektionsimmunologin und Akademiemitglied Barbara Bröker, eine der Organisatorinnen der Fachtagung.
„Und diese kaum bekannten Bakterien, die sich außerdem noch enorm voneinander unterscheiden. Die bieten da besonders viel Neues. Aber was das Besondere an dieser Arbeit von Rolf Müller und seinem Team ist auch, dass sie es schaffen, diesen Bakterien ihre Geheimnisse zu entlocken. Diese räuberischen Bakterien, die sind nämlich durchaus nicht bereit, solche Substanzen unter Laborbedingungen zu produzieren. Und die Arbeitsgruppe von Rolf Müller geht daher oft einen anderen Weg. Sie guckt sich wiederum das Genom an dieser Bakterien und sucht nach Genen, die, wie soll ich das sagen, für Experten danach riechen, dass sie in einer Antibiotikum-Synthesekette eingebunden werden könnten. Und dann bauen sie diese Antibiotikum-Synthesekette des Bakteriums im Labor sozusagen nach und erwecken diese Gene im Labor zum Leben. Und dann bekommen sie Substanzen in die Hand, die vorher noch niemand so gesehen hat.“
Barbara Bröker betont, dass gerade die vielfältigen Möglichkeiten dieser Forschungsarbeit von Rolf Müller und seinem Team zukunftsweisend sei beim Entwickeln neuer Medikamente auf Grundlage von Myxobakterien. Denn es wird immer wieder neue Lösungen brauchen, um Infektionen oder weiter gefasst Krankheiten zu therapieren.
„Es gibt hier nicht nur einen Mechanismus, einen Wirkmechanismus, sondern das Spannende ist, dass die Arbeitsgruppe sehr unterschiedliche Substanzen findet und auch welche mit neuen, bisher ganz unbekannten und noch nicht ausgenutzten Wirkmechanismen. Und diese Vielfalt, das ist besonders das Zukunftsweisende, denn wir müssen davon ausgehen, egal welche dieser Substanzen dann den Eingang in die Klinik finden, es werden sich Resistenzen entwickeln. Das ist keine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wann. Und deshalb brauchen wir eben eine Quelle, eine nicht versiegende Quelle, ein Schatzkästchen der Natur, aus dem wir immer wieder neue Substanzen herausziehen können und neue Wirkungsweisen. Und die Arbeitsgruppe am HIPS, die Arbeitsgruppen am HIPS, die untersuchen eben nicht nur eine Substanz, sondern mehrere. Eine hat es auch schon auf den Markt geschafft, allerdings für die Krebstherapie, nicht für Infektionsbekämpfung. Und dann gibt es eine Substanz, Corallopyronin heißt diese Substanz. Die sollen, wenn es gut geht, 2025 in die Phase 1 der klinischen Prüfung gehen. Andere brauchen noch länger. Also wir gucken hier auf einen sehr aktiven Forschungsprozess, wo neue Substanzen entdeckt werden, synthetisiert werden, untersucht werden und dann, wenn es soweit ist, in die Klinik gebracht werden. Das geht dann allerdings nicht mehr aus den Ressourcen des HIPS‘ alleine, sondern da ist öffentliches Geld notwendig. Geld der Pharmaindustrie oftmals in Form von Public Private Partnerships..“
Mitwirken am Forschungsprozess können alle Interessierten, indem sie im Rahmen eines Citizenscience-Projektes Bodenproben nach Saarbrücken schicken.
„Es geht darum, weitere Bakterien zu entdecken. Und dafür braucht’s Bodenproben aus der ganzen Welt. Zum Beispiel aus Hamburg gibt es noch nicht sehr viele. Da kann jeder tätig werden. Ich habe gleich dann, als ich das erfahren habe, da hingeschrieben zum HIPS, eine E-Mail geschickt und habe schon mein Kästchen erhalten, mit dem ich Bodenproben am Greifswalder Bodden sammeln kann.“
In den Shownotes zu dieser Podcast-Folge finden Sie den Link zu dem Citizenscience-Projekt „Die mikrobielle Schatzkiste. Neue Bodenbakterien finden“ vom HIPS, dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland.
Als Infektionsimmunologin hat Barbara Bröker beim Thema „Therapie von Infektionen“ natürlich besonders die stärkende Wirkung von Impfungen im Blick – als Präventionsmaßnahme. Bei der Greifswalder Fachtagung im Februar 2023 ging es auch um stärkende Maßnahmen im Krankheitsfall.
„Spannend finde ich auch besonders Strategien, die jetzt nicht auf die Erreger selbst zielen, sondern eher auf den Organismus, auf den Wirtsorganismus, auf den Menschen. Und die nennt man wirtsorientierte Therapiestrategien. Als Erstes die Vakzinierung natürlich, die kennen wir schon lange, aber da gibt es noch viel Anderes. Zum Beispiel ist es ja so, dass ein Organismus jetzt nicht nur die Bakterien bekämpfen muss oder die Viren im Falle einer Infektion, sondern diese Infektion auch schlicht überleben muss. Insofern ist die intensivmedizinische Therapie, die einen Organismus durch die Krise durchträgt, auch schon ein Teil einer solchen wirtsorientierten Strategie. Aber wir können da natürlich noch viel mehr darüber lernen. Eine solche Infektion kann zu einer krisenhaften Umstellung des Stoffwechsels führen. Und da ist es dann sinnvoll, noch mehr zu erfahren, wie Zellen sich regenerieren, wie Zellen sich mit diesen Stoffwechsel-Herausforderungen auseinandersetzen und wie man Zellen dabei unterstützen kann. Und da war auf der Tagung Michael Bauer aus Jena, ein Intensivmediziner aus Jena, der die Rolle von Cholesterol bei diesen Prozessen diskutiert hat. Der gesagt hat, es gäbe Hinweise, dass Cholesterol Zellmembranen stabilisieren kann und damit die Zellen unterstützen kann, diese Infektion zu überleben.“
Der Einsatz von Cholesterol bei lebensbedrohlichen Infektionen in der Intensiv-Medizin – ein weiterer anti-infektiver Therapieansatz, der zur Diskussion stand auf der Fachtagung „Anti-infektive Strategien der Zukunft – Prävention, Diagnostik, Therapie“ im Februar 2023 in Greifswald. Das Spektrum der zu diskutierenden Therapie-Ansätze war breit. Für Barbara Bröker aus dem Organisationsteam der Tagung und als Mitglied der Akademie-Arbeitsgruppe „Infektionsforschung und Gesellschaft“ eine ermutigende Zusammenkunft. Zugleich ist ihr wieder klar geworden, was die wichtigste anti-infektive Strategie bleibt:
„Ich denke als erstes an die Grundlagenforschung. Denn wir haben es immer wieder betont: Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Das können ganz unterschiedliche Erreger sein: Viren, Bakterien, Resistenzen. Und da ist es einfach wichtig, dass wir eine breite Basis von Wissen haben, auf die wir dann im Notfall schnell zurückgreifen können. Und es ist außerdem notwendig Grundlagenforschung zum Beispiel mit diesen Myxobakterien durchzuführen, damit wir an neue Substanzen und an neue Wirkungsweisen kommen. Und die brauchen wir kontinuierlich. Denn – das haben wir ja jetzt gelernt - es ist nicht so, wie man sich das in den 70er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts vorgestellt hat: dass wir mit den Antibiotika eine Geißel der Menschheit nach der anderen ausrotten. Sondern: Es ist ein ko-evolutionärer Prozess. Der hört nicht auf und wir dürfen nicht nachgeben.“