Neues Forschungsprojekt „NS-Verfolgung und Musikgeschichte“ ab Januar 2025

Die Verfolgung von Musikerinnen und Musikern durch das nationalsozialistische Regime und deren weltweite Konsequenzen stehen im Mittelpunkt des neuen Langzeitforschungsvorhabens „NS-Verfolgung und Musikgeschichte“. Ziel des Forschungsprojekts ist es, in den kommenden 18 Jahren die Musikgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der NS-Verfolgung zu revidieren und zu vervollständigen. Das Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, das in Kooperation mit der Universität Hamburg und mit der Hochschule für Musik und Theater München durchgeführt wird, ist Teil des Akademienprogramms und nimmt am 1. Januar 2025 seine Arbeit auf. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) des Bundes und der Länder hat am 22. November 2024 das Akademienprogramm 2025 der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften mit einem Gesamtvolumen von rund 80 Millionen Euro beschlossen.

Ein Beispiel für digitale Kartographie der Musikerverfolgung, wie sie das neue Langzeitforschungsprojekt „NS-Verfolgung und Musikgeschichte“ vornehmen wird: Die Grafik zeigt die Flucht-Bewegungen europäischer Komponisten und Komponistinnen ins Exil während der NS-Zeit.

Die Verfolgung von Musikerinnen und Musikern durch das NS-Regime hat massiv, dauerhaft und weltweit auf das immaterielle Kulturgut Musik eingewirkt. In Deutschland ebenso wie in den annektierten und besetzten Ländern kam es zu erheblichen Verlusten, im Exil aber auch zu produktiven Entwicklungen in allen Bereichen des Musiklebens. Die Exilmusik-Forschung begann Ende der 1970er-Jahre, doch in welchem Ausmaß die musikalische Praxis zerstört wurde, ist noch nicht ausreichend erforscht. Insbesondere die langfristigen Konsequenzen aus der Zwangsmigration von Musikerinnen und Musikern sind in weiten Teilen unerschlossen. Die herrschende Sicht auf die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts bezieht diese globalen Verwerfungen zu wenig ein. Das neue Forschungsprojekt „NS-Verfolgung und Musikgeschichte“ hat sich entsprechend zum Ziel gesetzt, diese Sicht zu revidieren und zu vervollständigen.

Im Zentrum der Grundlagenforschung des Projekts stehen drei Anliegen:

  • exemplarisch zu rekonstruieren, welchen Beitrag Verfolgte zum Musikleben der Zwischenkriegszeit geleistet haben;
  • die Zwangsmigration und das Wirken der vertriebenen Musikerinnen und Musiker an den wichtigsten Zielorten zu erschließen;
  • die Transferdynamik zwischen den Geflüchteten und den Musikkulturen der Exilländer mit ihren Folgen bis in die Gegenwart zu analysieren.

Dabei konzentriert sich das Projekt auf Musikerinnen und Musiker, die aus dem deutschsprachigen Raum stammen. Reichhaltige, bisher nicht ausgeschöpfte Quellen (vor allem ungedruckte und archivalische Bestände) sind zu erschließen. Die personenbezogenen Erkenntnisse daraus werden in das Online-Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM) einfließen, das über die Website der Universität Hamburg frei zugänglich ist. Das LexM ist das derzeit wichtigste Forschungsinstrument zum Thema. Es wird in das neue Forschungsprojekt integriert und wesentlich erweitert.

Die im LexM enthaltenen geographischen Daten legen die Grundlage für die geplante digitale Kartographie, um raumzeitliche Analysen der Musikerverfolgung zu ermöglichen. So lässt sich anhand von Karten die geographische Verteilung einzelner Berufsgruppen im Exil veranschaulichen und die Verbreitung musikalischen Wissens oder bestimmter Interpretationsschulen nachvollziehen. Geplant sind zudem künstlerisch-wissenschaftliche Formate etwa in Form von Research Concerts, die die Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit nahebringen.

Prof. Dr. Friedrich Geiger von der Hochschule für Musik und Theater München leitet das Forschungsprojekt. Er ist dort seit 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Historische Musikwissenschaft. Friedrich Geiger war zuvor Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg, an die er 2007 berufen worden war. Seit über 30 Jahren gehört Exilmusik-Forschung zu den Schwerpunkten seiner Arbeit.
https://hmtm.de/personen/prof-dr-friedrich-geiger/

Prof. Dr. Friedrich Geiger, Projektleiter und Leiter der Arbeitsstelle in München: „Ich freue mich sehr, dass unser Vorhaben bald im Akademienprogramm seine Arbeit aufnehmen kann. Die Forschung zur NS-Verfolgung von Musikern und Musikerinnen wird damit auf eine ganz neue Grundlage gestellt – in intensiver Zusammenarbeit mit den internationalen Initiativen zum Thema. Die Kooperation von Universität und Musikhochschule in einem gemeinsamen Langzeitprojekt gewährleistet dabei einen produktiven Austausch zwischen Wissenschaft und künstlerischer Praxis. Für beide Bereiche ist genaueres Wissen über die Dimensionen der Zerstörung und ihre langfristigen globalen Konsequenzen nötiger denn je – gerade angesichts zunehmender Bedrohung durch autoritäre Regime.“

Prof. Dr. Mojib Latif, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg: „Das neue Langzeitforschungsprojekt schließt eine wichtige Lücke in unserem Verständnis hinsichtlich Ausmaß und Auswirkungen der Verfolgung von Musikerinnen und Musikern durch die Nationalsozialisten, was gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen von herausragender Bedeutung ist.“

Kompletter Titel des Langzeitvorhabens: „NS-Verfolgung und Musikgeschichte. Revisionen aus biographischer und geographischer Perspektive“
Laufzeit: 1. Januar 2025 bis zum 31. Dezember 2042
Fördermittel für die gesamte Laufzeit: 7,9 Millionen Euro

Zur Projekt-Webseite (im Aufbau)
➤  https://www.awhamburg.de/forschung/langzeitvorhaben/ns-verfolgung-und-musikgeschichte.html

Zum Online-Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM)
➤  https://www.lexm.uni-hamburg.de/

Das Akademie der Wissenschaften in Hamburg führt das Langzeitvorhaben „NS-Verfolgung und Musikgeschichte“ in Kooperation mit der Universität Hamburg und der Hochschule für Musik und Theater München durch.

Ansprechpartnerin

Dagmar Penzlin
Referentin für Kommunikation 
Telefon +49 40 42948669-24
E-Mail dagmar.penzlin(at)awhamburg.de

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