26 Nov 13

Hirngespinst Willensfreiheit? - Wie die Neurowissenschaften unser Menschenbild beeinflussen

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Die Willensfreiheit als Möglichkeit, sich zwischen Handlungsoptionen entscheiden zu können, bildet einen wichtigen Ausgangspunkt in unserem Denken über den Menschen – einige Neurowissenschaftler ziehen die Existenz eines freien Willens jedoch in Zweifel. Da alle Gehirnleistungen auf neurochemischen Vorgängen beruhen, ist dies mit einer autonomen geistigen Willensbildung schwer vereinbar. Zugespitzt formuliert würde ein Verbrecher, bei dem bestimmte Hirnprozesse anders ablaufen, entsprechend seiner genetischen Disposition handeln und wäre für dieses Handeln moralisch nicht verantwortlich. Ist der freie Wille also nur eine Illusion? Wenn die Beschaffenheit des Gehirns den Menschen von selbstbestimmten Entscheidungen freispricht, wirft dies Fragen auf, denen sich auch die geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu stellen haben.

Eine Infragestellung der Willensfreiheit hat zudem konkrete Auswirkungen auf die Schuldfrage in der Rechtsprechung. Schuldfähigkeit erfordert ein Mindestmaß an Selbstbestimmung und die Einsicht in das eigene Handeln. Fehlt diese Vorbedingung, bedeutet dies zumeist Maßregelvollzug oder Sicherungsverwahrung. Auf neuromedizinischem Weg in bestimmte Verhaltensweisen einzugreifen und damit verhütend auf Wiederholungstäter einzuwirken, ist möglich. Ob sich solche Maßnahmen vor dem Hintergrund ethischer und moralischer Maßstäbe aber anwenden lassen, erscheint fraglich. Kritiker befürchten einen Rückfall in Zeiten, in denen die Kriminologie mit der Medizin eine unheilige Allianz einging und Menschen mit bestimmten anatomischen Merkmalen eine Neigung zur Straffälligkeit unterstellt wurde.

Muss unser Verständnis von Moral, Ethik und Schuld neu definiert werden? Welche Rolle spielen die Neurowissenschaften in unserer Kultur und Gesellschaft? Sind sie zu einer modernen Leitwissenschaft geworden? Welche Lehren können wir aus der historischen Entwicklung der Strafjustiz ziehen? Bedarf es einer Reform des Strafrechts auf der Grundlage neurologischer Befunde? Dürfen Auffälligkeiten präventiv korrigiert werden?

Zu einer Diskussion dieser und weiterer Fragen laden wir Sie herzlich in den Baseler Hof in Hamburg ein.

Prof. Dr. Günter Stock, Präsident Akademienunion

Prof. Dr. Heinz Duchhardt, Präsident Max Weber Stiftung

Programm

19:00 Uhr Begrüßung

Podiumsdiskussion

20:15 Uhr Offene Diskussion mit dem Publikum
21:00 Uhr Ende der Podiumsdiskussion
gegen 22:00 Uhr Ende der Veranstaltung

Podium

Prof. Dr. John-Dylan Haynes
Bernstein Center der Charité Berlin

Prof. Dr. Reinhard Merkel
Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Hamburg

Prof. Dr. Reinhard Werth
Medizinische Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Richard Wetzell
Deutsches Historisches Institut Washington D. C.

Moderation: Martina Kothe
Norddeutscher Rundfunk

Die Eingangsstatements der Podiumsmitglieder finden Sie unter www.geisteswissenschaft-im-dialog.de sowie in der Auslage im Eingangsbereich.

Eine gemeinsame Veranstaltung von Geisteswissenschaft im Dialog und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Gesprächspartner

Prof. Dr. John-Dylan Haynes ist Direktor des Berlin Center for Advanced Neuroimaging und hat darüber hinaus die Professur für „Theorie und Analyse weiträumiger Hirnsignale“ am Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité Berlin inne. Die Forschungsschwerpunkte des Psychologen und Hirnforschers umfassen die Entschlüsselung mentaler Zustände anhand von Gehirnsignalen sowie Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Entscheidungen.

Prof. Dr. Reinhard Merkel ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg. Außerdem ist er seit April 2012 auf Vorschlag der Bundesregierung Mitglied im Deutschen Ethikrat. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. Rechtsphilosophische Grundlagenforschung, Rechtsethik, normative Probleme der Philosophie des Geistes sowie Recht und Ethik in der Medizin und in den Neurowissenschaften. Er veröffentlichte u. a. das Buch „Willensfreiheit und rechtliche Schuld. Eine strafrechtsphilosophische Untersuchung“.

Prof. Dr. Reinhard Werth ist Professor für Medizinische Psychologie an der Ludwig- Maximilians-Universität München und Neuropsychologe am Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin. Er habilitierte sich sowohl für Medizinische Psychologie als auch für Wissenschaftstheorie. In seinen Forschungen beschäftigt er sich außer mit der Legasthenie schwerpunktmäßig mit dem Bewusstsein. 2010 veröffentlichte er das Buch „Die Natur des Bewusstseins. Wie Wahrnehmung und freier Wille im Gehirn entstehen“.

Dr. Richard Wetzell ist seit dem Jahr 2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Washington, einem Institut der Max Weber Stiftung. Seine Forschung konzentriert sich auf den Schnittpunkt von Rechtsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Politikgeschichte im modernen Deutschland. Er schreibt derzeit an einer Geschichte der deutschen Strafrechtsreformbewegung von 1870 bis 1970. Seine weiteren Forschungsinteressen umfassen die Geschichte sozialer Abweichung und Psychiatriegeschichte.

Martina Kothe studierte Sinologie in Freiburg und Hamburg, bevor sie als Moderatorin beim Norddeutschen Runkfunk tätig wurde. Seit 2003 moderiert sie bei NDR Kultur unter anderem „Klassik à la carte“. 

Veranstaltungsreihe

Geisteswissenschaft im Dialog
ist ein Diskussionsforum für aktuelle Fragen aus Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft. Ein interdisziplinär besetztes Podium diskutiert im direkten Dialog mit dem Publikum über das, was Wissenschaft und Gesellschaft beschäftigt.

Geisteswissenschaft im Dialog
will dem Austausch zwischen den verschiedenen Wissenschaften und zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit eine Plattform bieten.

Geisteswissenschaft im Dialog
ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland. Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ist die Dachorganisation von insgesamt acht Wissenschaftsakademien. Die Max Weber Stiftung ist eine bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung institutionell gefördert.

Schirmherrin der Veranstaltungsreihe ist die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka.

Baseler Hof Säle | Esplanade 15 | 20354 Hamburg | DIENSTAG | WEITERE INFORMATIONEN UND ANMELDUNG unter Telefon: 0228/37786-20, Fax: 0228/37786-19, E-Mail: freund(at)maxweberstiftung.de, www.geisteswissenschaft-im-dialog.de

Dienstag, 26. November 2013 um 00:00