Der öffentliche Teil der Tagung war mit 128 Teilnehmenden gut besucht. Hinzu kamen weitere Interessierte via Livestream. 17 Vorträge am 9. und 10. Februar 2023 beleuchteten anti-infektive Strategien. Thema war immer wieder eines der Hauptprobleme, nämlich Antibiotika-Resistenzen. In seinem Vortrag sprach der Tiermediziner und Virologe Prof. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, von schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen, die seit 2019 durch Antibiotika-resistente Bakterien gestorben sind. Wieler arbeitete in seinem öffentlichen Vortrag besonders die Rolle von Prävention und One-Health-Strategien heraus: „Der Schlüssel ist die Prävention von Infektionen durch Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen, optimierte Hygiene und gute medizinische Diagnostik. Darüber hinaus ist ein gerechter Zugang zu antimikrobiellen Mitteln weltweit von grundlegender Bedeutung, damit die Menschen Zugang zu den richtigen Antibiotika haben, wenn sie sie brauchen. Wir brauchen starke Gesundheitssysteme und wirksame präventive Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf lokaler Ebene. Außerdem Überwachungssysteme in allen One-Health-Bereichen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene, um eine wirksame Reaktion zu ermöglichen.“
Überwachungssysteme in allen One-Health-Bereichen notwendig
In Greifswald kamen führende Köpfe der Forschung zu anti-infektiven Strategien zusammen, wie das Programm (siehe Infokasten unten) dokumentiert. „So facettenreich die Wechselwirkungen zwischen Infektionserreger und Wirt sind, so vielfältig und schlau sind die Strategien der Infektionsforscherinnen und -forscher“, betonte aus dem Leitungsteam der Tagung Prof. Barbara M. Bröker, Akademiemitglied sowie Mitglied der Arbeitsgruppe „Infektionsforschung und Gesellschaft“ und Direktorin des Instituts für Immunologie der Universitätsmedizin Greifswald. Die Strategien reichen von Substanzen, die ein möglichst breites Spektrum von Pathogenen eliminieren sollen, bis hin zu Verfahren, bei denen aus hunderten von mikrobiellen Darmbewohnern einer gezielt ausgeschaltet wird, ohne den anderen zu schaden. Gleich mehrere Vorträge beschäftigten sich mit Ansätzen, die im Dreieck von Mikrobiom, Stoffwechsel und Immunsystem angesiedelt sind. Sie steuern nicht direkt die Infektionserreger an, sondern den Organismus des Patienten, um ihn dabei zu unterstützen, das gestörte Gleichgewicht mit der mikrobiellen Welt wiederherzustellen.
„Schlaue Strategien der Infektionsforschung“
Akademiemitglied Prof. Chris Meier, Chemie-Professor an der Universität Hamburg, entwickelt antivirale Substanzen, die nach dem Motto „one drug – multiple bugs“ möglichst alle RNA-Viren hemmen sollen, und zwar in Form von Breitspektrum-Virostatika. Dabei setzt Meier auf falsche Bausteine, Nukleosid-Analoga, die bei der RNA-Polymerisierung in die virale RNA eingebaut werden und dann zum Strang-Abbruch führen oder zu so vielen Mutationen, dass keine funktionellen Viren entstehen können.
Prof. Rolf Müller ist Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und Professor für Pharmazeutische Biochemie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken; er erhielt den Leibniz-Preis 2021 für seine Beiträge zur Bekämpfung Antibiotika-resistenter Krankheitserreger. In Greifswald sprach Müller über Myxobakterien, eine große Ordnung räuberischer Bakterien, die andere Mikroorganismen töten. Myxobakterien sind wenig erforscht. Sie haben riesige Genome und können eine bunte Palette von Sekundärmetaboliten bilden, die meisten völlig unbekannt. Müllers Arbeitsgruppe hat darunter Substanzen mit bizarren Strukturen und neuen antibiotischen Wirkungsweisen entdeckt.
Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen mit Myxobakterien
Impfstoffe können auf verschiedenen Wegen den Organismus in der Auseinandersetzung mit Infektionserregern stärken. Prof. Galit Alter, Medizin-Professorin an der Harvard Medical School in Boston und Vice president for immunological research bei Moderna, verdeutlichte den Teilnehmern, dass wir trotz aller Erfolge mit Impfungen erst in Ansätzen verstehen, warum sie so gut wirken – oder manchmal auch nicht. Die Schutzmechanismen können sich selbst bei ähnlichen Erregern wie etwa Viren, die Atemwegsinfektionen auslösen, sehr stark voneinander unterscheiden. Der Grund dafür ist, dass das Immunsystem ein sehr breites Spektrum verschiedener Effektormechanismen mobilisieren kann. Um die Impfstoffe zu optimieren, müssten wir viel mehr über die jeweilige Wirkung dieser immunologischen Schutzmechanismen erfahren. Dies ist laut Galit Alter mit einem Verfahren der Systemserologie möglich, bei dem man in klinischen Studien die Antikörper-Antworten von Infizierten oder Geimpften in großem Detail untersucht. Mit Computer-gestützten Analysen können so Bindungseigenschaften und/oder Funktionen eingegrenzt werden, die mit dem Schutz korreliert sind.
Von Antikörper-Antworten, „Krankheitstoleranz“ und sich weiter verbessernder Diagnostik
Eine andere Facette anti-infektiver Strategien beleuchtete Prof. Michael Bauer vom Center for Sepsis Control Care (CSCC) am Universitätsklinikum Jena. Bei einer Infektion geht es laut Bauer nicht nur darum, die Erreger zu eliminieren. Der Organismus muss auch überleben. So gilt es, seine Zellen und Organe vor Schaden zu schützen und sie zu regenerieren. Die Infektionserreger selbst sind dabei oft nicht das größte Problem, Gefahr geht auch von den aggressiven Abwehrmechanismen des Organismus aus und von einer dramatischen Umstellung des Stoffwechsels bei schweren Infektionen. Deshalb sei es sinnvoll, in der Infektionsforschung den Schutz und die Regeneration der Zellen und Organe gesondert zu betrachten. Als „Krankheitstoleranz“ wird die Fähigkeit des Organismus bezeichnet, seine Fitness bei Infektionen zu erhalten. Bauer diskutierte mit den Teilnehmenden die Rolle von Cholesterol bei diesen Prozessen. So gibt es Hinweise, dass die Gabe des natürlichen Bestandteils von Zellmembranen diese stabilisieren kann, besonders wenn sie von Bakterien und ihren Toxinen angegriffen werden.
„Nur was wir erkennen, können wir verhindern“, unterstrich Prof. Alex van Belkum von der niederländischen Sequenzierfirma BaseClear in seinem Vortrag über „Future diagnostics today!“ am Ende des öffentlichen Teils der Tagung in Greifswald. Bei Infektionen würden oft Stunden über den Erfolg einer antibiotischen Behandlung entscheiden. Dafür müssten medizinische Fachkräfte nicht nur die Infektionserreger diagnostizieren, sondern auch ihre Resistenzprofile, und dies möglichst schnell und überall. Das gesammelte Wissen, die sich ständig erweiternde Datenbasis und eine Vielzahl moderner Analyse- und Detektionsverfahren versprächen umfassendere, präzisere und schnellere Diagnostikverfahren.