„Wissenschaft als Kompass“: Podcast-Folge zu historischen Hintergründen der Entwicklungen im Iran

Seit September 2022 hat sich eine neue Protestbewegung in Iran formiert. Zum wiederholten Mal lehnen sich Menschen in Iran gegen das unerbittlich strenge Regime ihres Landes auf, gegen die damit verbundene Unterdrückung von Menschenrechten. „Frau Leben Freiheit“: Diese jahrzehntealte feministische Parole aus dem Kurdischen hat sich in Iran zum Leitgedanken der Proteste entwickelt, nachdem die junge iranische Kurdin Jîna Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben ist. Wo steht die Islamische Republik Iran (IRI) jetzt? Wie ist diese Protestbewegung einzuordnen mit Blick auf die iranische Geschichte? Und: Welche Überzeugungen aus dem zwölferschiitischen Islam prägen die Islamische Republik Iran und den dortigen Umgang mit Menschenrechten? Antworten auf diese und andere zentrale Frage zur Situation in Iran gibt es im Gespräch mit der Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Anja Pistor-Hatam. In Folge 11 des Akademie-Podcasts „Wissenschaft als Kompass“ blickt sie vor allem als Historikerin auf die Entwicklungen.

Im Gespräch: Prof. Dr. Anja Pistor-Hatam.

So kraftvoll und furchtlos die jüngste Protestbewegung ist und auch weltweit Aufmerksamkeit erregt hat, für Iran-Expertin Anja Pistor-Hatam stellen sich grundsätzliche Fragen, wenn es darum geht, wohin der Protest führen könnte. Die Antworten ergeben eine eher negative Prognose: „Wie viele Menschen werden sich den Protesten noch anschließen? Geht es tatsächlich durch alle Bevölkerungsgruppen? Und was wäre das alternative Szenario? Was sollte anstelle der Islamischen Republik Iran stehen? Welches politische Konzept? Natürlich kann man sich irren: Aber wenn man sich anschaut, welche Revolutionen, welche Widerstandsbewegungen erfolgreich waren, dann brauchen diese in der Regel Führungsfiguren, und es muss auch ein alternatives Konzept geben. Und das ist jetzt hier, so würde ich es zumindest sehen, nicht sichtbar. Es gibt Iranerinnen und Iraner im Exil, auf die immer verwiesen wird, und das wären gute Führungsfiguren. Die sind aber nicht im Land. Und man weiß auch nicht, wie gut sie politisch vernetzt sind, ob sie Konzepte haben, abgesehen davon, dass das Regime gestürzt werden soll. Und eine ganz wichtige Frage: Hören die Menschen in Iran auf diese Leute?“

Professorin Dr. Anja Pistor-Hatam hat als Islamwissenschaftlerin einen historischen Schwerpunkt gerade mit Blick auf Iran und das Osmanische Reich, ausgehend vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Außerdem gehören zu Ihren Forschungsthemen unter anderem die Konstruktion von Minderheiten in Iran beziehungsweise in der Islamischen Republik Iran sowie der zwölferschiitische Islam; er ist seit 1501 Staatsreligion in Iran.

Die Islamische Republik Iran ist gemäß Verfassung eine Theokratie, das heißt Gott beziehungsweise der verborgene Zwölfte Imam als Gottes Repräsentant ist der alleinige Herrscher. Das Konzept hat Chomeini im Rückgriff auf die Zwölferschia entwickelt: „Das bedeutet, dass der höchstrangige zwölferschiitische Rechtsgelehrte, in dem Fall in Iran, in Vertretung des zwölferschiitischen Imams die Herrschaft ausübt, um das islamische Recht durchzusetzen und Gottes Willen umzusetzen.“

Bei allen Unabwägbarkeiten hinsichtlich der politischen Entwicklungen: Sind Hoffnungen auf mehr Demokratie in der Islamischen Republik Iran überhaupt realistisch? Für Anja Pistor-Hatam hinge eine positive Antwort auf diese Frage davon ab, wie viele Menschen sich den Protesten wirklich anschließen würden: „Ich bin eher pessimistisch auf der Grundlage dessen, was ich weiß, was ich aus der Geschichte kenne und was ich im Moment über Iran weiß, und das ist natürlich nicht alles. So weiß man nie, was es in einem Land für eine Dynamik gibt, die man von außen nicht wirklich wahrnehmen kann.“

Prof. Dr. Anja Pistor-Hatam ist Professorin für Islamwissenschaft und Geschäftsführende Direktorin des Seminars für Orientalistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit 2011 ist sie Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Das Gespräch fand am 7. Juli 2023 statt.

Zur Talk-Fassung „Iran verstehen. Welche historischen Hintergründe spiegeln sich in der aktuellen Situation wider?“

Schlaglicht „Menschenrechte und Gottesstaat – sind Hoffnungen auf mehr Demokratie in der Islamischen Republik Iran realistisch?“

Der Podcast „Wissenschaft als Kompass“ ist online auf der Website der Akademie zu hören: https://www.awhamburg.de/mediathek/podcasts.html

Kostenlos abonnieren kann man den Podcast direkt über die Akademie-Website, auf der Extra-Podcast-Domain (https://wissenschaft-als-kompass.podigee.io/) oder auf diversen Podcast-Plattformen.

Durch den Podcast führt Dagmar Penzlin. Die langjährige Radiojournalistin ist Referentin für Kommunikation an der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Ansprechpartnerin

Dagmar Penzlin
Referentin für Kommunikation 
Telefon +49 40 42948669-24
E-Mail dagmar.penzlin(at)awhamburg.de

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