Nach Ansicht der Jury überzeugte die Arbeit von Christoph Winter durch ihre Kombination aus grundlegender empirischer Forschung und weitreichenden Konsequenzen. Trotz des Spezialthemas sei die Dissertation für zahlreiche andere Fächer wie die Ethnologie, Anthropologie und die Geschichtswissenschaften interessant. Besonders hob die Laudatorin Prof. Dr. Rebekka von Mallinckrodt, Historikerin und Akademiemitglied, die Originalität und die Anschlussfähigkeit der Argumentation hervor. So stellten Winters Ergebnisse frühere Gegenüberstellungen von europäischen und außereuropäischen Sprachen in Frage.
In der Dissertation „Der Kompass der Nordfriesen. Sprachliche Kodierung absoluter Orientierung am Beispiel der Himmelsrichtungen und Richtungspartikeln im Nordfriesischen“ untersucht Christoph Winter aus raumlinguistischer Perspektive, wie die Nordfriesen die Begriffe für die Himmelsrichtungen und Wörter wie ap – „rauf“, dil – „runter“, üt – „raus“, ouer – „rüber“ und am – „rum“ verwendet haben, um auszudrücken, wo sich ein Objekt befindet oder wohin es sich bewegt. Für seine Arbeit hat der Frisist sämtliche ihm zur Verfügung stehenden schriftlichen Quellen aller nordfriesischen Dialekte ausgewertet. Außerdem hat er in Nordfriesland (Bökingharde, Wiedingharde, Föhr, Amrum und Sylt) Daten mithilfe der Forschungsmethode der „semistrukturierten Interviews“ erhoben und so 19 Sprecherinnen und Sprecher des Nordfriesischen interviewt.
In seiner Dissertation konnte er überzeugend darstellen, dass die Nordfriesen bis ins 20. Jahrhundert und teilweise auch darüber hinaus über ein absolutes Orientierungsvermögen verfügten. Dieses äußerte sich im geografischen Gebrauch der Richtungspartikeln sowie in der auffälligen Verwendung der Himmelsrichtungen im Zusammenhang mit kleineren oder auch mobilen Objekten. Das Orientierungsvermögen beruhte sowohl auf der charakteristischen, sehr flachen Landschaft Nordfrieslands als auch auf siedlungsstrategischen Traditionen, die die Nordfriesen im Zuge der Adaption an die Naturgewalten und im Einklang mit der lokalen Topografie entwickelt hatten. Mit diesem Ergebnis trägt die Arbeit zur Revidierung der etablierten raumlinguistischen Lehrmeinung bei, dass absolute Orientierung nur in exotischen Sprachen außerhalb Europas zu finden ist – wie etwa im Guugu Yimidhirr in Australien oder im Tzeltal in Mexiko.
Dr. Christoph Winter, geboren 1989 in Niebüll, hat an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel Skandinavistik und Friesische Philologie studiert. Auch seine Promotion im Fach Frisistik absolvierte er an der CAU. Seit April 2023 ist Christoph Winter wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Frisistik am Kieler Institut für Skandinavistik, Frisistik und allgemeine Sprachwissenschaft.
Seine Dissertation „Der Kompass der Nordfriesen. Sprachliche Kodierung absoluter Orientierung am Beispiel der Himmelsrichtungen und Richtungspartikeln im Nordfriesischen“ ist mit Unterstützung des Elise-Reimarus-Publikationskostenzuschusses im Juli 2023 als Band Nr. 194 in den Beiheften der Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik (Franz Steiner Verlag, Stuttgart) erschienen.
Ein ausführliches Interview mit Christoph Winter lesen Sie auf unserer Akademie-Website
➤ „Der Kompass der Nordfriesen“: Wie Landmarken, Himmelsrichtungen und mentale Karten des nordfriesischen Milieus Sprachgebrauch beeinflussten
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Der Elise-Reimarus-Preis richtet sich an promovierte norddeutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zum Zeitpunkt der Bewerbung noch nicht auf eine unbefristete Professur berufen sind. Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg fördert mit dem Elise-Reimarus-Preis seit 2021 jährlich exzellente Monografien aus allen thematischen Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften.
Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg widmet den Preis der Hamburger Schriftstellerin, Pädagogin, Übersetzerin und Philosophin Elise Reimarus (1735-1805). Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Aufklärung in Deutschland. Mit dem Elise-Reimarus-Preis wird diese wichtige Persönlichkeit der Hamburger Stadtgeschichte gewürdigt.
In diesem Jahr beriet der Akademie-Ausschuss für Nachwuchspreise als Auswahljury des Elise-Reimarus-Preises über zehn Bewerbungen.
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