"Durch Vernetzung in der Wissenschaft Beschränkungen der eigenen Disziplin und der eigenen Sichtweise überwinden"

Der Neurophysiologe Andreas K. Engel wurde 2002 als Direktor an das Institut für Neurophysiologie und Pathophysiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) berufen und ist seit 2008 ordentliches Mitglied unserer Akademie; im Sommer 2019 ist er zudem in den Vorstand der Akademie gewählt worden. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die neuronalen Mechanismen von Wahrnehmung, Handlung, Aufmerksamkeit und Bewusstsein. In unserem Kurzinterview spricht der Hirnforscher über die Bedeutung der Netzwerkforschung und seine Arbeit im Vorstand der Akademie.

In diesem Semester haben Sie die Akademie­vorlesungsreihe „Das intelligenteste Netzwerk der Welt: Unser Gehirn“ mitorganisiert. Lassen sich aus den präsentierten Erkenntnissen auch Rückschlüsse auf unsere zwischenmenschlichen Kooperationen ziehen?

Die Untersuchung der Prozesse, die in unserem Gehirn bei sozialen Interaktionen ablaufen, hat in den letzten Jahren sehr von der Netzwerkforschung profitiert. Die Regionen, die im Gehirn einer einzelnen Person an der Steuerung der zwischenmenschlichen Interaktionen beteiligt sind, bilden ein komplexes Netzwerk. Die Erkenntnisse und Methoden der Netzwerkforschung haben unser Verständnis der Dynamik und der Funktionsweise dieses neuronalen Netzwerks erheblich verbessert. Darüber hinaus lassen sich Interaktionen in sozialen Systemen generell besonders gut mit Methoden der Netzwerkforschung beschreiben – soziale Netzwerke werden deshalb schon lange mit diesen Ansätzen erforscht.

Sie sind Co-Sprecher der Akademie-Arbeitsgruppe Network Science, die sich mit unterschiedlichen Netzwerken befasst. Wie sollten sich Wissenschaftler zeitgemäß vernetzen?

Ein sehr wichtiges Merkmal der Netzwerkforschung, die sich inzwischen zu einem enorm großen Feld mit weltweiter Verbreitung entwickelt hat, ist ihre Interdisziplinarität. Mit den hier angewendeten mathematischen Methoden, wie z.B. der Graphentheorie, kann man beliebige Systeme aus interagierenden Elementen beschreiben – unabhängig davon, ob es sich um Informationen, Moleküle, Warenströme, Menschen oder etwas anderes handelt. Hierdurch wird es möglich, sehr unterschiedliche Systeme miteinander zu vergleichen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dieses Gebiet ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass Vernetzung in der Wissenschaft wichtig ist, um Beschränkungen der eigenen Disziplin und der eigenen Sichtweise zu überwinden. In der Arbeitsgruppe Network Science sind wir vor allem am Dialog zwischen verschiedenen Gebieten interessiert, und die Akademie ermöglicht uns dies in ungewöhnlich hohem Maße.

Worin sehen Sie die besonderen Stärken der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und welche Schwerpunkte möchten Sie als Vorstandsmitglied setzen?

Eine besondere Stärke der Akademie sehe ich in ihrer Interdisziplinarität, die es ermöglicht, viele unterschiedliche Sichtweisen und wissenschaftlichen Standpunkte miteinander in Bezug zu setzen und kritisch zu diskutieren. Hierdurch fördert die Arbeit der Akademie auch die Vernetzung der verschiedenen Universitäten in ihrem Einzugsgebiet. Besondere Schwerpunkte, zu denen ich im Vorstand beitragen möchte, sind vor allem die Öffentlichkeitsarbeit und die Nachwuchsförderung. Angesichts der extremen Spezialisierung und der sehr schnellen technischen Weiterentwicklung in vielen Gebieten wird es immer wichtiger, Wissenschaft für die Öffentlichkeit transparent, nachvollziehbar und auch überprüfbar zu machen. Die Förderung jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler muss uns besonders am Herzen liegen, um frühe Unabhängigkeit des Arbeitens zu erleichtern und interessante Netzwerke für den Nachwuchs zu schaffen.

Das Interview führte Catherine Andresen.

Veröffentlicht am 26. August 2019