"Wir müssen Infektionskrankheiten wieder sehr viel ernster nehmen"

Der Molekularbiologe und Virologe Thomas C. Mettenleiter leitet seit 1996 als Präsident das Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, mit Hauptsitz auf der Insel Riems bei Greifswald. Er ist Ordentliches Mitglied unserer Akademie. Prof. Mettenleiter setzt sich besonders für die Zusammenarbeit von Veterinär- und Humanmedizin im Sinne »einer Gesundheit« von Mensch und Tier auf nationaler sowie internationaler Ebene ein. In unserem Kurzinterview spricht er über den Zusammenhang von Mensch, Tier und Natur im Umgang mit Pandemien.

Beim World Health Summit Ende Oktober, bei dem neue Strategien zur weltweiten Corona-Bekämpfung im Fokus standen, und auch auf dem Symposium Infektionen und Gesellschaft der Akademie am 30. Oktober in Hamburg haben Sie den „One Health“-Ansatz im Umgang mit Pandemien vorgestellt. Ein ganzheitlicher Ansatz, in dem Menschen- und Tiergesundheit und eine gesunde Umwelt eng verknüpft sind. Welche Bedeutung hat „One Health“ für die jetzige Pandemie? 

SARS-CoV-2 ist ein zoonotischer Erreger, das heißt, er kommt aus einem tierischen Reservoir, höchstwahrscheinlich Hufeisennasenfledermäuse in Süd-China. Wie er auf den Menschen übergesprungen ist, ob direkt oder über einen tierischen Zwischenwirt, ist unklar. Aber dann hat er sich effizient in der menschlichen Bevölkerung ausgebreitet und zu dieser Pandemie geführt. Infizierte Menschen können dann wieder Tiere anstecken, Haustiere wie Hunde und Katzen, aber auch gehaltene Tiere wie Nerze. Bei den Wildtieren spielt die Umwelt eine wesentliche Rolle, bei zoonotischen Infektionen die Verbindung von Human- und Veterinärmedizin. Und natürlich gibt es auch unter Veterinärmedizinern Diagnostiker, Epidemiologen etc., die ihre Expertise in die gegenwärtige Seuchenbekämpfung einbringen können.

Gibt es in der Tiermedizin bereits Erfahrungen und Ansätze in der Behandlung und Eindämmung von Infektionen, von denen wir in Zukunft profitieren können?

Die Bekämpfung von Tierseuchen ist schon sehr lange etabliert, das erste ‚Seuchengesetz‘ in Deutschland befasste sich mit Tierseuchen. Erst einige Zeit später entstand der Vorläufer des Infektionsschutzgesetzes. Bei der Tierseuchenbekämpfung spielt die Prävention eine überragende Rolle, da Therapien am Einzeltier häufig schwer oder gar nicht zu realisieren sind. Hier sind insbesondere Impfstoffe von großer Bedeutung, und da ist in der Tiermedizin einiges in der Anwendung, was beim Menschen erst langsam ins Arsenal kommt. Gentechnisch veränderte (Lebend)Impfstoffe, chimäre Viren, Vektorimpfstoffe, Nukleinsäure-Impfstoffe … das gibt es alles schon im Veterinärbereich.

Sie sind auch Mitglied der Akademie-Arbeitsgruppe Infektionsforschung und Gesellschaft, die sich seit einigen Jahren mit unterschiedlichen Infektionen und deren Bekämpfung befasst. Welche Lehren müssen wir aus Ihrer Sicht für die Zukunft ziehen?

Infektionskrankheiten waren etwas aus dem Blickpunkt geraten, da mit der Entwicklung der Antibiotika und der Impfstoffe viele früher vorherrschende Infektionen besiegt zu sein schienen. Das ist aber nicht der Fall, wie wir ja derzeit eindrucksvoll erleben. Wir müssen also Infektionskrankheiten wieder sehr viel ernster nehmen, und uns intensiv in Forschung, Entwicklung und Anwendung mit Impfstoffen und anti-infektiven Therapeutika beschäftigen, was wir ja auch kürzlich in einem Akademie-Diskussionspapier Impfen: dringender Handlungsbedarf, großer Forschungsbedarf deutlich gemacht haben. Hier gibt es noch viel zu tun.

Das Interview führte Catherine Andresen.

Veröffentlicht am 20. November 2020