"Mit innovativer und agiler Wirtschafts- und Sozialpolitik vorsorgen"
Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dennis J. Snower war bis Februar 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel sowie Professor für theoretische Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Akademiemitglied ist er seit Januar 2011. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Beschäftigungspolitik und Arbeitslosigkeit. Er spricht im Kurzinterview über das Thema künstliche Intelligenz, die Zukunft der Arbeit und die sozialpolitischen Auswirkungen.
Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt in den kommenden Jahren drastisch verändern. Schafft der Mensch seine Arbeit ab?
Künstliche Intelligenz (KI) schafft die Arbeit nicht ab, aber sie wird die Tätigkeiten, die wir am Arbeitsplatz ausüben, verändern. KI wird uns Routinetätigkeiten abnehmen, womit Zeit frei wird, um andere, vielleicht interessantere, Tätigkeiten zu machen. Außerdem wird es KI ermöglichen, neue Erkenntnisse aus Daten zu gewinnen, die uns ohne KI allein wegen des Rechenaufwands verborgen geblieben wären. Wir können KI also nutzen, um neue, bisher nicht mögliche Dinge zu erreichen.
Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Nehmen Computer und Roboter uns die Arbeit weg und was bedeutet das für unser Zusammenleben?
Nicht alle Beschäftigten werden gleichermaßen von KI profitieren. Wie bei anderen großen technologischen Transformationen zuvor, wird es Gewinner und Verlierer geben. Allerdings gibt es einige entscheidende Unterschiede zu früheren Transformationen. Dazu gehört zum einen die ungeheure Geschwindigkeit, in der die Technologie Einzug hält. Dies macht vielen Angst. Zum anderen ist die Digitalisierung durch eine Plattformökonomie gekennzeichnet, die starke Netzwerkeffekte mit sich bringt. Dies führt zu einer Welt, in der nur wenige Global Players eine marktbeherrschende Position haben. Diese besitzen die Plattformen, die Daten und werden die Gewinne einstreichen. Hier müssen wir gegensteuern, denn wenn sich die Ungleichheit weiter erhöht, wäre dies Gift für unser Zusammenleben.
Brauchen wir ein neues Bildungssystem? Was kann der Mensch, was ein Computer nicht kann?
Technologien können Tätigkeiten übernehmen, wenn sie nach klaren, wiederkehrenden Regeln ablaufen und wenn sie in einem standardisierten Umfeld stattfinden. In der Industrie spielt auch die Beschaffenheit des Werkstoffes eine Rolle: z.B. ist das Nähen von Stoffen schwierig zu automatisieren, das Schweißen von Stahlteilen ist einfacher. Was Computer nicht gut können: kreativ sein, empathisch sein, abwägen. Unser Bildungssystem muss die Entwicklung dieser menschlichen Alleinstellungsmerkmale in den Blick nehmen. Zentral dafür ist, dass Lehrkräfte dies auch vermitteln können und verstehen, worauf es zukünftig ankommt.
Brauchen wir eine Denkpause, um globale Regeln für die künstliche Intelligenz zu vereinbaren?
Ich denke, wir brauchen das Gegenteil von einer Denkpause: wir sollten unser Nachdenken über dieses Thema massiv beschleunigen, um jetzt die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Wenn wir über die Einflüsse von neuen Technologien reden, schwanken wir zwischen Panikmache und Verharmlosung. Es fehlen solide wissenschaftliche Analysen über das, was uns erwartet und wie die Politik steuern kann. Diese Wissenslücke ist verständlich, denn wir können die Zukunft nicht voraussehen. Aber wir können mit innovativer und agiler Wirtschafts- und Sozialpolitik so vorsorgen, dass möglichst viele, und das meine ich nicht nur in Bezug auf Deutschland, sondern mit Bezug auf die ganze Welt, an den Möglichkeiten teilhaben können.
Das Interview führte Catherine Andresen.
Veröffentlicht am 1. Februar 2019
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