Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und dem Rückgang der biologischen Vielfalt
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Die Menschen sehen sich gewaltigen Umweltproblemen gegenüber. Aber sollte der Mensch nicht weise genug sein, das zu tun, was zu seinem Wohl notwendig ist? Das fragte bereits 1972, vor mehr als einem halben Jahrhundert, Maurice Strong als Generalsekretär der ersten Weltumweltkonferenz, der sogenannten Stockholm Konferenz.[1] Alleine die Herausforderung, vor der wir bei der Begrenzung der globalen Erwärmung stehen, ist riesengroß, und es hat nicht den Anschein, dass die Staatengemeinschaft das Klimaproblem ernsthaft angehen will. So hat 2024 der weltweite Ausstoß des Treibhausgases CO2 erneut einen historischen Höchststand erreicht, ebenso wie die durchschnittliche Temperatur an der Erdoberfläche. Im Vergleich dazu sind die bisherigen weltweiten Klimaschutzanstrengungen aberwitzig klein.
So hatte die letzte Weltklimakonferenz, die insgesamt schon neunundzwanzigste ihrer Art, im aserbaidschanischen Baku keine nennenswerten Ergebnisse hervorgebracht und reihte sich in die lange Liste gescheiterter Umweltkonferenzen ein. 2024 fanden vier UN-Treffen zu den Themen Artensterben, Klimawandel, Plastikmüll und Wüstenbildung statt. Alle Konferenzen sind krachend gescheitert und endeten mit einem Minimalkonsens, was die Welt in Sachen Umweltschutz nicht weitergebracht hat. Und dies trotz der vollmundigen Versprechungen von Regierungschefs aus vielen Ländern, dass man den Planeten besser vor Ausbeutung und Zerstörung schützen wolle, ein Ritual, das sich Jahr für Jahr wiederholt, wenn Umweltkonferenzen anstehen, ohne dass es dann erwähnenswerte Fortschritte beim Umweltschutz gegeben hätte.

Greenwashing statt Taten
Ankündigungen, ohne Taten folgen zu lassen, oder das allseits beliebte Greenwashing werden uns bei der Bewältigung der globalen Umweltprobleme nicht helfen. Sie lassen die Zeit verstreichen, die uns noch bleibt, um wenigstens mit einem blauen Auge davonzukommen, d.h. die Erde nicht gänzlich ihr lebensfreundliches Gesicht verlieren zu lassen. Hinzu kommt, dass in immer mehr Ländern Politiker an die Schalthebel der Macht gelangen, die Umweltprobleme leugnen oder als nicht wichtig erachten. So wie Donald Trump, der Ende 2024 zum US-Präsidenten gewählt wurde und noch am Tag seiner Amtseinführung erneut aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten ist.
Im Endspiel um die Zukunft
Wenn man sich unvoreingenommen in der Welt umschaut, wird es offenbar: Wir befinden uns inmitten eines Endspiels. Damit meine ich nicht nur die rasant steigenden Temperaturen, die für sich genommen bereits für Millionen Menschen zu einer Bedrohung geworden sind, etwa durch Hitze, Dürren, Brände, Starkregen, Überschwemmungen oder die immer schneller steigenden Meeresspiegel. Vergessen wir bitte bei all der gerechtfertigten Sorge um die bedrohliche Klimaentwicklung nicht die anderen durch die Menschen verursachten globalen Umweltprobleme wie den Rückgang der biologischen Vielfalt zu Land und in den Meeren. Hinzu kommt, dass der Klimawandel das Artensterben beschleunigt. Eine ungebremste globale Erwärmung wird Tier- und Pflanzenarten in beträchtlicher Größenordnung von dem Planeten unwiderruflich verschwinden lassen und hätte das Potential für ein Massenaussterbeereignis. Ein Verlust von 70 Prozent der Arten oder mehr droht. In so einer Welt herrschten wohl kaum noch günstige Bedingungen für menschliches Leben.

Ein 33 Jahre altes Versprechen, das Schlimmste zu verhindern
Die Menschen werden in den kommenden Jahrzehnten darüber entscheiden, wie es mit dem Leben auf der Erde weitergeht. Werden sie es schaffen, eine Klimaveränderung zu vermeiden, die die Welt auf den Kopf stellen und die Menschheit vor kaum stemmbare Herausforderungen stellen würde? Auf die Verhinderung einer solchen dramatischen Klimaveränderung hatte sich 1992 die Staatengemeinschaft in der Rahmenkonvention der Vereinten Nationen über Klimaveränderungen von Rio de Janeiro geeignet. Das Abkommen sieht vor, dass die Belastung der Atmosphäre mit Treibhausgasen auf einem Niveau stabilisiert wird, welches eine gefährliche anthropogene Störung des Weltklimas verhindert. Im Wortlaut der Klimarahmenkonvention heißt es dazu: „Ein solches Niveau sollte innerhalb eines Zeitraums erreicht werden, der ausreicht, damit sich die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann.“[2] Soweit die Aufgabenstellung, die sich die Länder vor über 30 Jahren gestellt hatten. Die Menschen haben bis jetzt – ich muss es so deutlich sagen – die Klimarahmenkonvention von Rio mit Füßen getreten. Von einer Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre kann bis zum heutigen Tag nicht die Rede sein, noch nicht einmal ansatzweise. Ganz im Gegenteil. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre, auf den es bei der globalen Erwärmung hauptsächlich ankommt, steigt weiterhin mit einer großen Geschwindigkeit, und die Temperatur an der Erdoberfläche folgt mit einer geringen Zeitverzögerung.
Menschen wie auch Ökosysteme zu Land und zu Wasser können sich in einigen Weltregionen kaum noch an die sich rasant verändernden Umweltbedingungen anpassen, was den Endspielcharakter der heutigen Zeit unterstreicht. Eines der sichtbaren Zeichen dafür ist das hauptsächlich durch die steigenden Meerestemperaturen verursachte Korallensterben in den tropischen Meeren, die sogenannte Korallenbleiche. Intakte Korallenriffe sind ein Hort der biologischen Vielfalt, was uns vor Augen führt, wie eng Erderwärmung und Biodiversität zusammenhängen.
Gesundheitsnotstand durch Klimawandel und Artensterben
Vor diesem Hintergrund haben im Jahr 2023 über 200 medizinische Fachzeitschriften gemeinsam einen Appell an die Vereinten Nationen, die politischen Entscheidungsträger und die Angehörigen der Gesundheitsberufe gerichtet, endlich anzuerkennen, dass der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt untrennbare Krisen sind, die zur Vermeidung einer Gesundheitskatastrophe gemeinsam angegangen werden müssen.[3] In dem Aufruf wird betont, dass sowohl die Klimakrise als auch der Verlust der biologischen Vielfalt die menschliche Gesundheit unmittelbar bedrohen. So trage der Klimawandel unter anderem auch zur Ausbreitung ansteckender Krankheiten bei. Klimawandel und Umweltverschmutzung würden außerdem Trinkwasserquellen schaden, und der Rückgang der Artenvielfalt würde es schwerer machen, die Menschheit gesund zu ernähren. Die Klima- und die Naturkrise separat voneinander zu betrachten wäre ein gefährlicher Fehler. Es handele sich um eine allgemeine Umweltkrise, und die sei inzwischen so gravierend, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen globalen Gesundheitsnotstand ausrufen müsse. Der Gesundheitsnotstand ist die höchste Alarmstufe, die die WHO verhängen kann. Alle Mitgliedsländer sind dann aufgefordert, Informationen auszutauschen, um das betreffende Problem in den Griff zu bekommen. Der Gesundheitsnotstand wurde zuletzt während der Corona-Pandemie ausgerufen.
Die Erde als Gesamtheit
Noch werden die Klima- und Biodiversitätskrise größtenteils getrennt voneinander betrachtet. So fand die 29. Weltklimakonferenz in Aserbaidschan statt, während die 16. Weltnaturkonferenz in etwa zur gleichen Zeit in Kolumbien abgehalten wurde. Die Wissenschaftsgemeinden, die die Erkenntnisse für die beiden Konferenzen lieferten, sind immer noch weitgehend voneinander isoliert. Sie hatten sich allerdings 2020 zu einem gemeinsamen Workshop getroffen, bei dem die teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Schluss gekommen waren: „Nur wenn Klima und biologische Vielfalt als Teile desselben komplexen Problems betrachtet werden, können Lösungen entwickelt werden, die Fehlanpassungen vermeiden und die positiven Ergebnisse maximieren.“[4] Wir müssen die Erde als Gesamtheit verstehen, welches aus unterschiedlichen miteinander in Wechselwirkung stehenden Teilsystemen besteht. Ein interdisziplinärer Ansatz ist hier das One-Health-Konzept, das die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt im Zusammenhang betrachtet.[5] Die Schädigung eines Teilsystems kann zu Rückkopplungen führen, die ein anderes Teilsystem schädigen. Als Lebewesen sind die Menschen ein untrennbarer Teil der Natur und trotz aller technischen Errungenschaften letztlich von ihr abhängig. Der Klimawandel wird, wenn er ungebremst bleibt, wahrscheinlich die Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt werden. Umgekehrt schützen Ökosysteme und ihre biologische Vielfalt die Gesellschaft vor dem Klimawandel, indem sie die Ressourcen bereitstellen, die es der Gesellschaft ermöglichen, sich an den Klimawandel anzupassen, und indem sie CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen.[6] Wenn ich oben von einem Endspiel gesprochen habe, in dem wir uns befinden, meine ich es genauso. Das Wort Endspiel beschreibt meiner Meinung nach in angemessener Weise die gefährliche Lage, in die sich die Menschheit manövriert hat. Wir blicken bildlich gesprochen in den Abgrund und haben keine Zeit mehr zu verlieren, um ein Desaster planetaren Ausmaßes zu verhindern.
Ein Teufelskreis
Lassen Sie uns den Blick zum Schluss noch etwas weiten. Ich möchte betonen, dass wir die gewaltigen Herausforderungen, denen wir uns als Menschheit gegenübersehen, nicht in Isolation werden lösen können. Die Umweltprobleme und Problemkomplexe jenseits der Umwelt sind schlicht die verschiedenen Symptome des Mangels an Nachhaltigkeit. Die damalige indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi beschrieb es 1972 auf der Stockholm Konferenz mit den folgenden Worten: „Das Leben ist eins, und wir haben nur diese eine Erde. Alles ist miteinander verknüpft: Bevölkerungsexplosion, Armut, Unwissenheit, Krankheit, Umweltverschmutzung, die Ansammlung von nuklearen, biologischen und chemischen Waffen. Ein Teufelskreis! Jedes Thema ist wichtig, aber es wäre vergebliche Mühe, jedes einzeln zu behandeln.“
Fußnoten
- https://www.mauricestrong.net/index.php?option=com_content&view=article&id=154&Itemid=78. Aufgerufen 18.01.2025.
- unfccc.int/resource/docs/convkp/convger.pdf. Aufgerufen 18.01.2025.
- www.aerzteblatt.de/nachrichten/146897/Appell-fuer-Anerkennung-von-Klimakrise-als-Gesundheitsnotstand. Aufgerufen 18.01.2025.
- Pörtner, H.O. et al. 2021. IPBES-IPCC co-sponsored workshop report on biodiversity and climate change; IPBES and IPCC. DOI:10.5281/zenodo.4782538.
- www.awhamburg.de/forschung/arbeitsgruppen/one-health.html Aufgerufen 9.01.2025.
- easac.eu/publications/details/key-messages-from-european-science-academies-for-unfccc-cop26-and-cbd-cop15. Aufgerufen 19.01.2025.