Der Reiz von Verschwörungstheorien

Warum finden manche Menschen Gefallen an Verschwörungstheorien? Das Essay beleuchtet drei psychologische Motive: das Bedürfnis nach Sicherheit, das Verlangen nach einem verständlichen, stabilen Weltbild und das Streben nach Zugehörigkeit und Anerkennung.
Essay von Larissa Zwar, 01. November 2023

Turbulente und überfordernde Zeiten begünstigen den Glauben an Verschwörungen.
Turbulente und überfordernde Zeiten begünstigen den Glauben an Verschwörungen.

Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien? In unsteten Zeiten bieten Verschwörungserzählungen für manche eine willkommene Erklärung der Wirklichkeit. Populär ist der Glaube an Verschwörungstheorien schon lange: Einige bezweifelten etwa, dass die Mondlandung der Apollo-Missionen im Jahr 1969 stattgefunden hat, und glaubten, sie sei inszeniert worden. Vor dem Hintergrund verschiedener politischer und gesellschaftlicher Krisen, etwa den Präsidentschaftswahlen in den USA, der COVID-19-Pandemie oder dem Krieg gegen die Ukraine, haben Verschwörungstheorien Auftrieb.

Die psychologische Forschung zum Glauben an Verschwörungstheorien ist noch relativ jung, kann aber bereits einen essenziellen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage leisten.  Um die Frage zu beantworten, ist es erst einmal wichtig zu verstehen, was Verschwörungstheorien ausmacht.

Geheim, absichtsvoll und böswillig

Einig sind sich die meisten (psychologischen) Forschenden, dass Verschwörungstheorien dadurch gekennzeichnet sind, dass sie geheime Komplotte bestimmter Personen oder Gruppen postulieren. Es geht in der Regel um die geheime und absichtsvolle Absprache zwischen mindestens zwei Personen oder Gruppen, um ein Ziel zu erreichen. Dabei besteht die Annahme, dass das Komplott von öffentlichem Interesse ist, aber geheim gehalten wird.1, 2 Laut Karen Douglas, 1 einer führende Forscherin auf diesem Feld, umfasst eine Verschwörungstheorie zudem die Annahme, dass es sich um verbotene oder böswillige Handlungen handelt. Dabei wird den Handelnden die Macht zugeschrieben, das Ereignis zu verursachen, wohingegen mögliche äußere Einflüsse ignoriert werden. Eine Verschwörungstheorie steht typischerweise im Kontrast zu einer gesellschaftlich allgemein akzeptierten Theorie.1, 2 Beispielsweise kamen während der COVID-19-Pandemie vereinzelt Theorien auf, SARS-CoV-2 könne gezielt von Menschen entwickelt worden sein, womöglich als Biowaffe, konträr zum vorherrschenden Verständnis, dass es sich um ein natürlich entstandenes und übertragenes Virus handelt.3, 4 Jedoch basieren Verschwörungstheorien per Definition (als geheimer Akt) auf weniger bekannten, nachvollziehbaren Nachweisen und sind daher schwierig zu prüfen und anfälliger gegenüber Unwahrheiten.1

Aber warum vertrauen nun manche Menschen eher gesellschaftlich akzeptierten und oft auf wissenschaftliche Erkenntnisse basierenden Theorien und andere glauben eher an Verschwörungstheorien?

Drei psychologische Motive

Eine Reihe von Forschungsarbeiten hat bereits vor der Pandemie begonnen, Gründe zu identifizieren. Dabei haben sich drei zentrale psychologische Motive herauskristallisiert und bestätigt: die epistemischen, existenziellen und sozialen Motive.5-7 Diese Motive hängen mit zugrundeliegenden Bedürfnissen zusammen, deren Nichterfüllung die Wahrscheinlichkeit an Verschwörungstheorien zu glauben maßgeblich steigert.

Bedürfnis nach Gewissheit

Wenn Informationen unzureichend, unverständlich oder unklar sind, wächst das Bedürfnis nach Gewissheit.
Wenn Informationen unzureichend, unverständlich oder unklar sind, wächst das Bedürfnis nach Gewissheit.

Menschen haben ein Bedürfnis danach, Dinge zu verstehen und Erklärungen für Geschehnisse zu finden. Sie wollen verstehen, was und warum etwas passiert und wer oder was verantwortlich ist. Sie streben nach Wissen und Gewissheit; dies ist das epistemische Motiv.5 Wenn die verfügbaren Informationen nicht ausreichen, unverständlich oder unklar sind, ist die Erfüllung dieses Bedürfnisses bedroht. Verschwörungstheorien können dann plausibel wirkende, nachvollziehbare Erklärungen für bedeutsame, beunruhigende Ereignisse mit einer eindeutigen Verantwortungszuschreibung anbieten. Insbesondere Menschen, die Unsicherheit nur schwer aushalten, ein geringes Bildungslevel haben und wenig analytisch denken, scheinen sich eher (auch) Verschwörungstheorien zuzuwenden, um dieses Bedürfnis zu erfüllen.6, 8

Bedürfnis nach Sicherheit

Für alle Eventualitäten vorsorgen, um ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle wiederzuerlangen.
Für alle Eventualitäten vorsorgen, um ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle wiederzuerlangen.

Der Reiz dieser Theorien ist vor allem in Zeiten von Krisen besonders groß. Krisen stärken nicht nur den Bedarf nach Erklärung und Verständnis, sondern auch den Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle.7 Sicherheit und das Gefühl, Kontrolle über die eigene Situation zu haben, sind existenzielle Bedürfnisse (existenzielles Motiv).5 Vor allem reale oder vermeintliche externe Gefahren und soziale Bedrohungen sind hier ausschlaggebend.6 Dazu gehört beispielsweise die Bedrohung der sozialen Ordnung (Status quo).

Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Anerkennung

Gemeinsame Verschwörungsüberzeugungen können der Verteidigung der eigenen Gruppenidentität dienen.
Gemeinsame Verschwörungsüberzeugungen können der Verteidigung der eigenen Gruppenidentität dienen.

Zudem spielen auch soziale Motive eine wichtige Rolle.5 Menschen sind danach bestrebt, sich zugehörig zu fühlen und ein positives Bild von sich selbst aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet, das sie ihre eigene Identität und den damit verknüpften Selbstwert schützen sowie auch die Gruppen verteidigen, zu denen sie sich zugehörig fühlen.5, 6, 9 Typischerweise haben Menschen mehrere Gruppenidentitäten – zum Beispiel kann eine Person sich als Mann, Ingenieur, Vater, politisch konservativ, Fußballer und Hamburger identifizieren. Ist eine der Identitäten bedroht durch ein Ereignis von öffentlichem Interesse, wie beispielsweise der Wahlniederlage der bevorzugten Partei, kann das Bedürfnis entstehen, diese Gruppenidentität zu schützen. Dies kann dazu führen, dass neben der gesellschaftlich akzeptierten Erklärung, dass die Partei wegen zu wenig Stimmen verloren hat, die Erklärung bevorzugt wird, dass es einen Wahlbetrug gab. Personen mit nur wenigen und schwachen sozialen Verbindungen oder Netzwerken sind stärker motiviert, diese zu verteidigen. Verknüpft mit dem sozialen Motiv ist zudem das Bedürfnis, sich oder die eigene Gruppe nicht nur als positiv, sondern als einzigartig und besonders wahrzunehmen.1, 5 Das tritt umso mehr bei Gruppen auf, die sich bedroht und ausgeschlossen fühlen oder wenig gesellschaftlichen Einfluss oder Status haben oder wahrnehmen, wobei auch ein ausgeprägter kollektiver und individueller Narzissmus eine Rolle spielen.1, 5, 6

Wie deutlich wird, sind vielfältige Motive und deren Zusammenwirken ausschlaggebend für den Glauben an Verschwörungstheorien. Paradoxerweise hat die bisherige Forschung jedoch gezeigt, dass der Glaube an Verschwörungstheorien diese existenziellen, epistemischen und sozialen Bedürfnisse nicht erfüllen kann, sondern vielmehr das Gegenteil bewirkt. 6, 10-14 Beispielsweise wurde verstärkte soziale Isolation, größere Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen, mehr Zweifel und Unsicherheit, und erhöhte Risikobereitschaft sowie Hinwendung zu extremeren Gruppierungen und Handlungen (z.B. aggressives und gewalttätiges Handeln) festgestellt bei Menschen, die besonders stark an Verschwörungstheorien glauben.

Bildung, Beziehungen und Teilhabe wirken Verschwörungstheorien entgegen

Die Theorie zu den Motiven kann eine Orientierung geben, wie die Bereitschaft an Verschwörungstheorien zu glauben beeinflusst werden kann. Deutlich wird, dass gute soziale Beziehungen, ein hohes Bildungslevel, das heißt universaler Zugang zu guter Bildung, sowie Transparenz, Zugang zu Informationen und Förderung kognitiver und analytischer Fähigkeiten zentral sind. 1, 6, 8 In anderen Worten, gesellschaftliche Systeme, die den Zugang und die Förderung von Bildungs- und Berufschancen einschränken sowie Gesetze und Normen, die soziale Beziehungen und Teilhabe begrenzen und das Entstehen von (extremen) Randgruppen begünstigen, erschweren die Erfüllung der epistemischen, existenziellen und sozialen Motive und unterstützen die Hinwendung zu Verschwörungstheorien.

Verschwörungstheorien entstehen und stehen also nicht im leeren Raum, sondern weisen auf einen (vermeintlichen oder realen) Mangel hin und zeigen den Bedarf nach Veränderung, Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung.1, 5, 15 Das heißt, sie werden typischerweise mit dem Ziel, etwas Bestimmtes zu erreichen, entwickelt und geteilt.1 Dadurch sind sie nicht nur beschreibend (deskriptiv), sondern sie können auch zur Veränderung der Realität beitragen (normativ) - in negativer, aber auch in positiver Weise.

Gesunde Skepsis

Bis zu einem gewissen Grad kann Skepsis gegenüber offiziellen Darstellungen sogar positiv sein, für das Individuum und für die Gesellschaft als Ganzes. Eine begrenzte Bereitschaft an Verschwörungen zu glauben trägt dazu bei, dass der Status quo kritisch diskutiert wird2. Dadurch kann Transparenz und Inklusion eingefordert und Austausch zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Ebenen sowie eine kontinuierliche Anpassung des Systems angeregt werden1. So kann eine gewisse Bereitschaft an Verschwörungstheorien zu glauben, auch dazu beitragen, überhaupt ein System zu ermöglichen, dass die Bedürfniserfüllung der drei oben genannten Motive begünstigt.

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass zwischen dem Glauben an einzelne spezifische Theorien und der grundlegenden Tendenz, an Verschwörungstheorien zu glauben, unterschieden werden muss.6, 16 Beispielsweise kann eine Person an eine Theorie des Wahlbetrugs glauben, weil sie ihre politische Ausrichtung und Gruppe durch die Wahlergebnisse bedroht sieht, dennoch aber Theorien ablehnen, die Impfstoffe als Machtinstrumente zur Gedankenkontrolle durch die Regierung beschreiben. Die grundlegende Tendenz, an Verschwörungstheorien zu glauben, wird als Verschwörungsmentalität bezeichnet und scheint eine relativ stabile Eigenschaft zu sein, die nur wenige Menschen aufweisen.16 Typisch für diese Gruppe ist es, nicht einer einzelnen Verschwörungsthese anzuhängen, sondern gleich mehreren, teils widersprüchlichen Erklärungsansätzen Glauben zu schenken. Sinnvoll könnte es daher sein, diese Gruppe mit einer stark ausgeprägten Verschwörungsmentalität genauer im Einzelnen zu betrachten. Auf die meisten Menschen trifft dies jedoch nicht zu; sie bewegen sich auf dem Spektrum zwischen vollkommener Gutgläubigkeit gegenüber Autoritäten an einem Ende und ausgeprägter Paranoia am anderen Ende.

Prävention statt Repression

Informierte Teilhabe an gesellschaftlichen Debatten.
Informierte Teilhabe an gesellschaftlichen Debatten.

Zusammenfassend lässt sich der Schluss ziehen, dass es wohl weder nötig noch zielführend ist, Verschwörungstheorien zu unterdrücken, um die etablierte Wahrheit in den Vordergrund zu stellen. Dies erscheint angesichts der großen Vielfalt an Erklärungsansätzen, die im Lauf der Geschichte stets für einschneidende Ereignisse entstanden, ohnehin als müßig.

Vielmehr sollte auf struktureller Ebene dafür gesorgt werden, die grundlegenden sozialen, epistemischen und existenziellen Bedürfnisse besser zu erfüllen. Hierzu gehört unter anderem die Förderung von Informationszugängen, Transparenz in Entscheidungsfindungen und demokratische Teilhabemöglichkeiten sowie die Förderung kognitiver und analytischer Fähigkeiten, das heißt von Bildung. Auf diese Weise wird den Menschen ermöglicht, fundierte Urteile auf Basis eigener Recherche und Abwägung zu treffen. Wenn die grundlegenden psychosozialen Bedürfnisse der Menschen in ausreichendem Maße befriedigt sind, dürfte für die meisten der Reiz von Verschwörungstheorien deutlich geringer sein.

Literaturverzeichnis

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Dr. Larissa Zwar

Larissa Zwar studierte Psychologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, der Freien Universität in Berlin und der Bangor Universität in Wales. Für ihre Promotion 2020 zu gesundheitlichen und psychosozialen Folgen von informeller Pflege für Pflegende und Gepflegte erhielt sie den Uwe Koch-Gromus Promotionspreis am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Ihre Forschung ist interdisziplinär ausgerichtet und bezieht sich primär auf die Disziplinen Psychologie, Gerontologie und Versorgungsforschung. Im Rahmen ihres PostDocs und für die Habilitation arbeitet sie derzeit am Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung des UKE an Projekten zur Vertiefung ihrer Schwerpunkte informelle Pflege, erfolgreiches Altern und Stigmatisierung und Diskriminierung im Kontext der Pflege von älteren Personen.