Die Wahrheit über Spargel

Bei Spargel, dem „weißen Gold“, spielt das Anbaugebiet eine große Rolle. Mit falschen Herkunftsangaben kann er bis zum fünffachen Preis verkauft werden. Die Untersuchung von Stoffwechselprodukten kann die wahren geografischen Ursprünge aufdecken.
Essay von Marina Creydt, 1. Dezember 2023

Gemeiner Spargel
Gemeiner Spargel

Ein Lebensmittel mit Herkunft

Die Deutschen lieben ihren weißen Spargel. Seine geografische Herkunft hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Preis. Aus diesem Grund kann es für Lebensmittelfälscher äußerst profitabel sein, die Herkunftsangabe zu manipulieren. Allerdings kann durch die Analyse von Metaboliten (Stoffwechselprodukten wie Lipiden, Zucker oder Aminosäuren) ein chemischer Fingerabdruck erstellt werden, der dabei hilft, solche Täuschungen aufzudecken.

„Essbares Elfenbein“, „königliches Gemüse“ oder „weißes Gold“ – keine andere Gemüseart in Deutschland wird wohl so sehr geschätzt wie weißer Spargel. Dabei ist der reinweiße Spargel ein überwiegend deutsches Phänomen. In den meisten anderen Teilen der Welt wird die grüne Variante bevorzugt, die deutlich leichter kultiviert werden kann. Auf rund 22.000 Hektar werden die begehrten weißen Stangen in der Bundesrepublik angebaut. Somit bildet Spargel als Spitzenreiter im deutschen Gemüseanbau einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor.

Deutscher Spargel?
Deutscher Spargel?

Gemüse mit Identitätskrise

Die Herkunftsangaben von Spargel können leicht manipuliert werden: Etiketten können umgeschrieben oder ausländische Produkte direkt als „deutscher Spargel“ auf den Märkten verkauft werden. Auf diese Weise kann das Vier- bis Fünffache des ursprünglichen Wertes erzielt werden. Gleichzeitig werden sowohl die ehrlichen Spargelbauern als auch die Verbraucher getäuscht. Insbesondere mit vermehrter Aufmerksamkeit für Herkunftsangaben bei den Verbrauchern, wird der Ausspruch „Regional ist das neue Bio“ für viele zunehmend wichtig. Die Motivation reicht vom einzigartigen Geschmack, über kürzere, klimafreundlichere Transportwege bis hin zur Unterstützung der heimischen Wirtschaft. Daher sind viele Verbraucher bereit, für lokale Produkte einen höheren Preis zu zahlen. Der Preisunterschied resultiert hauptsächlich aus den verschiedenen wirtschaftlichen und klimatischen Bedingungen in den Anbauländern.

Insgesamt kultivieren in Deutschland 1.630 überwiegend kleine und mittelständische Betriebe das Gemüse. Der Großteil von ihnen ist in Spargelhochburgen wie Nienburg, Beelitz, Schrobenhausen oder Walbeck ansässig. Dort sind die Böden meist weich und sandig, sodass die Sprossachsen gerade wachsen können. In diesen Regionen beginnt jedes Jahr ab April bis zum 24. Juni, dem Johannistag, eine intensive Geschäftigkeit. Erntehelfer und Touristen werden in Bussen herbeigebracht. Überall sind die schwarzen und weißen glitzernden Folien zu sehen, unter denen der Spargel aufwändig angebaut wird.

Vor der Ernte
Vor der Ernte

Mit dem Kühltransporter durch Europa

Und wir – ein dreiköpfiges Team der Hamburg School of Food Science an der Universität Hamburg – sind mittendrin. Das Ziel unseres Vorhabens besteht darin, eine analytische Methode zu entwickeln, mit der die geografische Herkunft von Spargel nachgewiesen werden kann. Eineinhalb Wochen fahren wir deshalb mit einem kleinen Kühltransporter quer durch Deutschland, Polen und die Niederlande von Spargelhof zu Spargelhof, um Proben für unser gemeinsames Forschungsprojekt zu nehmen. Durch die direkte Probenahme vor Ort können wir sicherstellen, dass wir wirklich authentisches und unverfälschtes Probenmaterial erhalten.

Die meisten der 40 Spargelanbauer in Deutschland kennen uns bereits aus den Vorjahren und sind auf unseren Besuch vorbereitet. Von jedem Anbauer erhalten wir mindestens drei Kilo Spargel in verschiedenen Sorten sowie ein ausgefülltes Metadatenblatt. Dieses Blatt enthält Informationen über die Bodenzusammensetzung und die Anbaumethoden. Fast alle Anbauer berichten uns, häufig aufgrund eigener Erfahrungen, dass mehr „deutscher“ Spargel verkauft als produziert wird. Dementsprechend werden wir von der Spargelbranche massiv unterstützt.

Ernte
Ernte

Während einer Ernteperiode legen wir mit unserem Kühltransporter insgesamt ungefähr 5.000 km zurück. Zusätzliche Proben erhalten wir von Importeuren aus Spanien, Griechenland und Peru. Aufgrund der großen Entfernung ist es nicht möglich, diese Spargelproben persönlich abzuholen. Darüber hinaus ist das Risiko, dass beispielsweise eine deutsche Probe als griechischer Spargel deklariert wird, vergleichsweise gering. Es wäre für die Fälscher nicht profitabel, da sie keinen finanziellen Gewinn daraus erzielen könnten.

Stabilisotopenmethode als Referenz

Nach unserer Rückkehr an die Universität in Hamburg werden einige der Proben an ein anderes Lebensmittellabor geschickt. Die Experten dort haben sich auf die Untersuchung ausgewählter Stabilisotope spezialisiert, darunter Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel. Isotope unterscheiden sich in der Anzahl an Neutronen in ihrem Atomkern und weisen deshalb verschiedene Massen auf. Dennoch zählen sie zu dem gleichen Element und verhalten sich auch chemisch identisch. Abhängig vom Standort und dem Stoffwechsel von Pflanzen weichen die Verhältnisse der verschiedenen Isotopen voneinander ab. Derartige Varianzen resultieren überwiegend aus dem Klima oder der Bodenbeschaffenheit und können mittels eines Massenspektrometers nachgewiesen werden. Mit diesem Ansatz wird die geografische Herkunft von Lebensmitteln üblicherweise bestimmt. Die Leistungsfähigkeit unserer neuen Analysemethode kann später detaillierter beurteilt werden, indem sie mit den Ergebnissen des Standardverfahrens verglichen wird. Dadurch können wir die Genauigkeit und Zuverlässigkeit unserer Methode besser einschätzen.

Jedoch ist die Stabilisotopenmethode – das gilt für fast alle analytischen Methoden – nicht perfekt und weist einige Unsicherheiten auf. Außerdem ist diese Vorgehensweise technisch sehr aufwändig und kann nur von wenigen Laboratorien durchgeführt werden. Aus diesem Grund hatte die Spargelbranche auch nach einer alternativen Strategie angefragt.

Szparag lekarski
Szparag lekarski

Metabolitenanalyse als Alternative

Den anderen Teil der Spargelproben bereiten wir deshalb für eine weitere massenspektrometrische Analyse vor. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um die Bestimmung der Massen einzelner Elemente, sondern von Molekülen. In unserem Fokus steht dabei die Detektion von möglichst vielen Stoffwechselprodukten – den Metaboliten. Die dazugehörige noch recht junge analytische Forschungsdisziplin wird als „Metabolomics“ bezeichnet.

Metabolite sind Zwischenprodukte, die in einer Vielzahl von physiologischen Vorgängen vorkommen. Ähnlich wie bei den zuvor beschriebenen Stabilisotopenverhältnissen können Umweltfaktoren die Konzentrationen von Metaboliten in einer Pflanze beeinflussen. Dabei haben Metabolite zwei unschlagbare Vorteile: Zum einen werden sie von einer größeren Anzahl externer Variablen stärker beeinflusst, und zum anderen gibt es in einer Pflanze vermutlich bis zu 25.000 verschiedene Metabolite, sodass einzelne Einflussfaktoren detaillierter widergespiegelt werden können. All diese Parameter führen dazu, dass Spargelproben je nach Anbauregion unterschiedliche Metabolitmuster aufweisen, die auch als individuelle chemische Fingerabdrücke bezeichnet werden können. Genau wie jeder Mensch durch seinen einzigartigen Fingerabdruck identifizierbar ist, können auch Lebensmittel anhand dieser chemischen Fingerabdrücke charakterisiert werden.

Die Herausforderung besteht zunächst darin, den chemischen Fingerabdruck durch die Detektion einer möglichst großen Anzahl verschiedener Metabolite detailliert darzustellen. Je mehr Moleküle nachweisbar sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, relevante Unterschiede zu erfassen. Nach einer umfangreichen Methodenentwicklung sind wir in der Lage, in einer einzigen Spargelprobe ca. 5.000 verschiedene Metabolite zu detektieren. Im nächsten Schritt müssen wir aus diesen umfangreichen Datensätzen die signifikantesten Unterschiede zwischen den einzelnen Proben herausarbeiten. Dies ähnelt der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Dafür müssen zunächst alle Moleküle, deren Konzentrationen in den Proben gleich sind, beiseite geräumt werden – das „Heu“ sozusagen. Wir nutzen dazu bioinformatische Verfahren. Im Anschluss an die Datenreduktion werden die sogenannten Markerverbindungen identifiziert, also nach Möglichkeit in ihrer Struktur aufgeklärt. Diese Verbindungen liegen in unterschiedlichen Konzentrationen abhängig von der geografischen Herkunft vor.

Interessanterweise können wir feststellen, dass nahezu alle diese Markerverbindungen mit verschiedenen pflanzlichen Stressfaktoren in Verbindung gebracht werden können, wie beispielsweise Trockenheit oder hohen Salzkonzentrationen im Boden. Das bedeutet, dass die Unterscheidung des Herkunftsortes von Spargel möglich ist, da die Pflanzen unterschiedlich starkem Stress ausgesetzt sind.

"Deutscher Spargel - sticht alles" - Kampagnenlogo des Netzwerkes der Spargel- und Beerenverbände e.V.
"Deutscher Spargel - sticht alles" - Kampagnenlogo des Netzwerkes der Spargel- und Beerenverbände e.V.

Von der Forschung in die Praxis

Wie schon bei der Isotopenanalytik sind auch die hierzu verwendeten hochauflösenden Massenspektrometer sehr teuer in der Anschaffung und empfindlich. Deshalb sind solche Geräte in der staatlichen Lebensmittelüberwachung und in den Routinelaboren der Industrie kaum vertreten. Wir müssen unsere Methode also vereinfachen, indem wir uns lediglich auf die signifikantesten Markerverbindungen beschränken. Diese wenigen Metabolite können mit kleinen und robusten Geräten problemlos bestimmt werden, die zudem in normal ausgestatteten Lebensmittellaboren bereits vorhanden sind. Im direkten Vergleich mit den Ergebnissen der Stabilisotopenanalytik aus dem Referenzlabor, kann unsere neue Methode gut mithalten und liefert bei einigen Spargelregionen sogar deutlich bessere Ergebnisse.

Ein privates Handelslabor für Lebensmittelanalysen aus Hamburg hat diesen Ansatz mittlerweile aufgegriffen. In Zusammenarbeit wird daran gearbeitet, das Untersuchungsverfahren in die Routineanalytik zu integrieren. Das Ziel ist, den Landwirten in Zukunft noch besser dabei zu helfen, eine hohe Qualität zu gewährleisten und den Verbrauchern Spargelgenuss mit gesicherter Herkunftsangabe zu bieten - sei es klassisch mit Sauce Hollandaise und Schinken oder in vielen anderen Variationen.

 


Mit Dank an Professor Markus Fischer, Direktor der Hamburg School of Food Science an der Universität Hamburg, für seine Unterstützung.

Literaturhinweis

Creydt, Marina/Hudzik, Daria/Rurik, Marc/Kohlbacher, Oliver/Fischer, Markus (2018): Food Authentication: Small-Molecule Profiling as a Tool for the Geographic Discrimination of German White Asparagus. In: Journal of Agricultural and Food Chemistry, 66 (50), 13328–13339. 29 citations (Crossref) [2023-12-11]. https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.jafc.8b05791

Dr. Marina Creydt

Ihr Studium der Lebensmittelchemie an der Universität Hamburg hat Dr. Marina Creydt mit der Promotion an der Hamburg School of Food Science abgeschlossen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Analytik pflanzlicher niedermolekularer Stoffwechselprodukte (Metabolomics) mittels hochauflösender Massenspektrometrie mit dem Ziel, die geografische Herkunft von Spargel zu bestimmen. In weiterführenden Arbeiten hat sie die entwickelten Verfahren auf andere Gebiete übertragen. Hierzu zählten bspw. Methoden zum Nachweis der Herkunft von Hölzern oder die Erfassung der Auswirkungen eines erhöhten CO2- Gehaltes auf die Zusammensetzung von Lebensmittelinhaltsstoffen. Anfang 2021 ist sie in den Exzellenzcluster 2176 „Understanding Written Artefacts“ gewechselt. Mittels hochauflösenden Untersuchungen von Peptidmustern (Proteomics) sollen Informationen über die zugrundeliegenden Schreibmaterialien sowie über die anhaftende mikrobiologische Flora erhalten werden. Ziel dabei ist sowohl eine eindeutige Klassifizierung des Materials als auch ein Verständnis mikrobiologischer Umwelteinflüsse. Es ist bekannt, dass besonders von Letzteren wiederum erhebliche Auswirkungen auf das Material selbst zu erwarten sind. Entsprechende Kenntnisse können direkt in Maßnahmen zur Erhaltung von Kulturgütern einfließen.