Klimawandel: Fakt oder Fiktion?

Der Klimawandel wird durch den Menschen verursacht, das ist wissenschaftlicher Konsens. Absolute Wahrheit gibt es in der Wissenschaft jedoch nicht. Existiert also ein unumstößlicher Beweis dafür, dass der Klimawandel Folge menschlicher Aktivitäten ist?
Essay von Mojib Latif , 10. April 2023

Eine utopische, emissionsfreie Welt? Auf dieser Ansicht von Bern sind keine Autos oder Fabriken zu sehen.
Eine utopische, emissionsfreie Welt? Auf dieser Ansicht von Bern sind keine Autos oder Fabriken zu sehen.

Der Begriff Wahrheit spielt auch bei der Diskussion um den Klimawandel eine Rolle, wobei mit Klimawandel die globale Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung gemeint ist. Die Wissenschaft ist sich einig: Die Erwärmung ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen.[1] Angesichts der eingängigen Argumente sogenannter Klimaskeptiker, die einen nennenswerten menschlichen Einfluss auf das Klima bestreiten, zweifeln nicht wenige Bürgerinnen und Bürger trotz der überwältigenden wissenschaftlichen Evidenz an den Ergebnissen der Klimaforschung.

Eines der gewichtigsten „Argumente“ der Skeptischen lautet, dass es keinen Beweis dafür gäbe, dass der Mensch das Klima verändert. Die menschliche (anthropogene) Klimabeeinflussung sei nur eine Theorie, eine von vielen. Des Öfteren vergleichen sie die Klimaforschung mit einer Religion und versuchen, der Forschung die wissenschaftliche Seriosität abzusprechen. Greifen wir das Argument des mangelnden Beweises auf und fragen, wie denn eigentlich der unumstößliche Beweis für die anthropogene Klimabeeinflussung aussehen könnte. Wie ist zweifelsfrei nachzuweisen, dass es der Mensch ist, der die Erderwärmung verursacht hat?

Utopische Zeitreise

Dazu ein Gedankenexperiment. Um den unumstößlichen Beweis zu erbringen, würden wir mit einer Zeitmaschine in die vorindustrielle Zeit zurückreisen, sagen wir in das Jahr 1850. Und dann würden wir die Weltentwicklung noch einmal starten, ohne dass die Menschen Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) in die Luft blasen täten. In so einer Welt würde die Menschheit etwa auf die Verbrennung der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas zur Energieerzeugung verzichten, wodurch kein CO2 in die Atmosphäre gelangen würde. In dieser Welt fänden nur die Erneuerbaren Energien wie Sonnen- und Windenergie, Wasserkraft, Erdwärme oder Gezeiten- und Wellenenergie Verwendung. Auch der Verkehr würde keine Emissionen verursachen. Es gäbe zum Beispiel keine Autos mit Benzinmotoren. Und auch die Landwirtschaft käme ohne den Ausstoß von Treibhausgasen wie Methan (CH4) oder Lachgas (N2O) aus. Durch den Vergleich der realen mit der zweiten Weltentwicklung bekämen wir die Antwort auf die Frage, welchen Anteil der Mensch an der Klimaentwicklung seit Beginn der Industrialisierung besitzt.

Digitale Zwillinge der Erde

Zeitreisen und ein Neustart der Menschheitsgeschichte bieten faszinierende Szenarien für Romane und Filme. In unserer nüchternen Realität können sich Klimaforschende immerhin ein Abbild der Erde im Computer erschaffen und das irdische Klima samt Neustart simulieren. Denn das Klima unterliegt den Gesetzen der Physik. Die Gesetze sind bekannt und können in Form von mathematischen Gleichungen ausgedrückt werden. Wir kennen jedoch die exakte Lösung der Gleichungen nicht. Die numerische Mathematik ermöglicht es uns aber, die Gleichungen auf Computern näherungsweise zu lösen. Die Realisierung der das Klima bestimmenden mathematischen Gleichungen auf einem Computer bezeichnet man als Klimamodell. Es handelt sich bei den Klimamodellen um eine Art digitalen Zwilling der Erde.

In übertragenem Sinne handelt es sich um eine Erde im Reagenzglas, mit der wir experimentieren können. Wir können den Einfluss steigender atmosphärischer Treibhausgaskonzentrationen studieren. Oder die Sonnenstrahlung verändern, wie es im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten und über noch längere Zeiträume geschieht. Wir können studieren, welche Auswirkungen Vulkanausbrüche auf das Klima haben. Die Modelle simulieren auch Veränderungen, die man als interne Klimaschwankungen bezeichnet. Selbst wenn sich die Zusammensetzung der Atmosphäre nicht ändert, die Sonne gleich stark scheint und keine Vulkane ausbrechen, schwankt das Klima. Die Charakteristika der simulierten internen Schwankungen sind von denen der beobachteten Schwankungen kaum zu unterscheiden.

Klimamodell MPI-ESM HR: Die drei Erden zeigen das Erwärmungsmuster (Jahresmittel) für die Jahre 2030, 2060 und 2090 jeweils verglichen mit der heutigen Situation
Klimamodell MPI-ESM HR: Die drei Erden zeigen das Erwärmungsmuster (Jahresmittel) für die Jahre 2030, 2060 und 2090 jeweils verglichen mit der heutigen Situation

Universelles Ergebnis verschiedener Klimamodelle

Mit den Klimamodellen können wir das tun, was wir in dem obigen Gedankenexperiment der Zeitreise durchgespielt haben. In einer ersten Simulation werden die Modelle nur mit den natürlichen Einflüssen gerechnet, menschliche Aktivitäten werden ignoriert. Die Simulation zeigt im Ergebnis keinen langfristigen Anstieg der global gemittelten Erdoberflächentemperatur. In einer zweiten Simulation finden sowohl die natürlichen als auch die anthropogenen Einflüsse wie der Anstieg des atmosphärischen CO2-Gehalts Berücksichtigung. Die global gemittelte Temperatur steigt in dieser zweiten Simulation in Übereinstimmung mit den Beobachtungen an. Dabei handelt es sich um ein universelles Ergebnis in dem Sinne, dass die Resultate der verschiedenen Klimamodelle, die weltweit betrieben werden, qualitativ übereinstimmen. Außerdem simulieren die Modelle das räumliche Muster der beobachteten Temperaturveränderungen nur dann, wenn die anthropogenen Antriebe mit einbezogen werden. Für die Identifizierung und Quantifizierung des menschlichen Klimaeinflusses haben zwei Klimawissenschaftler 2021 den Physik-Nobelpreis verliehen bekommen: Klaus Hasselmann und Syukuro Manabe.

Wahrheit und Wissenschaft

Es ist wichtig, zwischen dem alltäglichen Verständnis von Wahrheit und einem wissenschaftlichen Verständnis zu unterscheiden: Die Wissenschaft strebt nicht nach absoluter Wahrheit, sondern nach den jeweils bestmöglichen Erklärungen auf Basis des gegenwärtigen Wissens, die aber prinzipiell falsifizierbar bleiben. Aussagen sind falsifizierbar, wenn sie sich empirisch überprüfen und gegebenenfalls widerlegen lassen.

Die Wissenschaft arbeitet mit Theorien und Hypothesen, die fortwährend durch Experimente und Beobachtungen überprüft, korrigiert oder verworfen werden. Ziel ist es, Annahmen zu verbessern oder durch empirisch besser fundierte zu ersetzen. Die Wissenschaft ist ein dynamischer Prozess, der auf immer neuen Erkenntnisgewinn, auf bessere Erklärungen der Welt abzielt. Forschungsmethoden werden kontinuierlich weiterentwickelt und verfeinert. Eine absolute Wahrheit als letztgültiger Stand des Wissens kann jedoch nie erreicht werden.

Weiterführende Lektüre: Horatschek (2020) Competing Knowledges – Wissen im Widerstreit

Es verbleibt jedoch eine geringe Unsicherheit, unter anderem, weil es perfekte Modelle nicht geben kann. So besteht, wie bei jeder wissenschaftlichen Erkenntnis, dass theoretische Restrisiko, dass sich die Klimaforschung irrt. Allerdings ist dieses Risiko im Vergleich zu den katastrophalen Folgen, die eintreten würden, wenn die Klimaforschung Recht hat und wir nichts unternehmen, um den Klimawandel zu bekämpfen, verschwindend gering. Der Begriff Wahrheit ist deswegen nicht angemessen, wenn wir über die Ursache der globalen Erwärmung diskutieren. Der Weltklimarat schreibt 2023 in seinem Synthesebericht: „Menschliche Aktivitäten haben eindeutig die globale Erwärmung verursacht, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen“ und versieht diese Aussage mit dem Zusatz „hohes Vertrauen“.[2]

Fußnoten

  1. NASA’s Jet Propulsion Laboratory/California Institute of Technology (2023): Scientific Consensus: Earth’s Climate is Warming. Climate Change: Vital Signs of the Planet. Text abrufbar unter: https://climate.nasa.gov/scientific-consensus (Zugriff am 3.4.2023).
  2. Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle (Hrsg.) (2023): Synthesebericht zum Sechsten IPCC-Sachstandsbericht (AR6). Text abrufbar unter: https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-SYR.pdf (Zugriff am 3.4.2023).

Prof. Dr. Mojib Latif

Seit über drei Jahrzehnten erforscht Mojib Latif die Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre und deren Einfluss auf das Klima. Für seine Forschungsarbeiten ist er mehrfach ausgezeichnet worden. So mit der Sverdrup Goldmedaille der Amerikanischen Meteorologischen Gesellschaft, mit dem Deutschen Umweltpreis und der Alfred-Wegener-Medaille der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft. Seit November 2017 ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome. Die Mitgliederversammlung der Akademie der Wissenschaften in Hamburg hat ihn am 19. November 2021 zum Akademiepräsidenten gewählt.