Wahrheit und Logik

Wenn wir etwas als logisch schlüssig bezeichnen, meinen wir, dass es stimmig und korrekt ist. Logik und logisches Schließen sind untrennbar mit dem Anspruch auf Wahrheit verbunden. Welche Wahrheit können logikbasierte Methoden tatsächlich liefern?
Essay von Alexander Steen, 15. September 2023

Sokrates – vergänglich der Lehrer, unsterblich seine Lehre.
Sokrates – vergänglich der Lehrer, unsterblich seine Lehre.

Logisches Denken, Argumentieren und Schlussfolgern sind inhärenter Bestandteil jeder Wissenschaft und durchziehen auch viele alltägliche Aspekte des Lebens. Ein gutes (logisches) Argument sollte dabei auch schlüssig sein, das heißt die Gültigkeit der Behauptung muss sich logisch notwendigerweise aus der Gültigkeit der Annahmen schlussfolgern lassen. Ein bekanntes Beispiel ist wie folgt: Wir nehmen an, es gilt …

(1) Alle Menschen sind sterblich.
 

Weiterhin soll gelten:

(2) Sokrates ist ein Mensch.
 

Aus (1) und (2) können wir nun schließen:

(3) Sokrates ist sterblich.


Was in diesem Beispiel recht intuitiv und selbstverständlich erscheint, entpuppt sich im Allgemeinen zu einer tiefgreifenden Frage: Wann dürfen wir welche Schlüsse ziehen? Und ist unser Schluss damit wahr? Die Art und Weise, wie solche Schlussfolgerungen funktionieren, und welche Regeln dabei zulässig sind, untersucht die Wissenschaft der formalen Logik.

Der Wahrheitsbegriff in der formalen Logik

Darstellung der Logik als Teil des antiken Kanons der Sieben freien Künste.
Darstellung der Logik als Teil des antiken Kanons der Sieben freien Künste.

Vorab ist es wichtig zu bemerken, dass logische Schlüsse keine absoluten Wahrheitsaussagen beschreiben, sondern eher kontextabhängige Feststellungen sind: Logische Schlussregeln sind Schablonen der Form ...

                  Falls A1, A2, ... gelten, dann gilt auch B,

wobei die „A1“, „A2“, etc. ... (die Voraussetzungen des Schlusses) und das „B“ (die Schlussfolgerung) Platzhalter für konkrete Aussagen sind. Intuitiv könnte man eine Schlussregel als kleine „Fabrik“ interpretieren: Sobald alle Rohstoffe (die Voraussetzungen als Eingabe) vorhanden sind, wird ein Produkt (die Schlussfolgerung als Ausgabe) produziert. Die Schablonen sagen dabei lediglich aus, dass falls alle Voraussetzungen zutreffen, dass dann auch die Schlussfolgerung B zutrifft. Sollte aber mindestens eine der Voraussetzungen nicht zutreffen, so kann in der Regel keinerlei Aussage über die Schlussfolgerung gemacht werden (ein Rohstoff fehlt, das Produkt kann nicht hergestellt werden). Jede logische Schlussfolgerung existiert damit in direkter Abhängigkeit zu ihren zugrundeliegenden Voraussetzungen, und ihre Aussage muss daher immer im Zusammenhang bewertet werden. Es handelt sich bei logischen Schlüssen in der Regel also, wenn überhaupt, um relative Wahrheiten. Und über das Zutreffen der Voraussetzungen kann natürlich kontrovers diskutiert werden.

Wann ist ein logischer Schluss nun gültig? In der formalen Logik wird ein gültiger Schluss dadurch charakterisiert, dass dieser aus einer Kombination von zuvor festgelegten, grundlegenden und allgemeinen Schlussregeln zusammengesetzt werden kann. Die Schlussregeln, wie oben bereits abstrakt beschrieben, sind dabei als Schablonen zu verstehen, die Platzhalter für Aussagen einer bestimmten Form enthalten, welche dann für konkrete Schlussfolgerungen durch konkrete Aussagen ersetzt werden. Im Sokrates-Beispiel reichen bereits zwei in der Logik elementare Schlussregeln, um das gewünschte Ergebnis „Sokrates ist sterblich“ zu erreichen. Die zwei Schlussregeln werden „Modus Ponens“[1] (kurz MP) und „Universelle Instanziierung“[2] (kurz UI) genannt. Diese sehen wie folgt aus:

                  (MP)      Falls „wenn A dann B“ und „A“ gelten, dann gilt auch „B“

                  (UI)        Falls „Für alle Entitäten gilt: A“ gilt, dann gilt auch „A gilt für E“

Hierbei sind „A“ und „B“ die erwähnten Platzhalter, die für beliebige Aussagen stehen, ferner steht „E“ für eine beliebige Entität (ein Objekt, Gegenstand, Mensch, ...). (MP) hat zwei Voraussetzungen („wenn A dann B“ und „A“), (UI) hingegen nur eine Voraussetzung.

Dass der Schluss von (1) und (2) zu (3) nun gültig ist, kann durch die Angabe einer konkreten Kombination von Schlussregelanwendungen gezeigt werden. Falls eine solche Angabe nicht möglich ist, dann ist der Schluss formal nicht zulässig und daher ungültig. Dafür formulieren wir die Aussage (1) leicht um, damit sie besser in das sprachliche Schema der Schlussregel (UI) passt:

                  (1b)        Für alle Entitäten gilt: Wenn sie ein Mensch ist, dann ist sie sterblich.

Da wir (1b) in unserem Argument als gegeben annehmen, gilt (1b) automatisch. Daher ist (1b) nun als Voraussetzung von (UI) anwendbar, denn sie hat die richtige Form („Für alle Entitäten gilt: [...]“) und sie gilt (nach Annahme). (UI) produziert nun als Schlussfolgerung ...

                  (*)           Wenn Sokrates ein Mensch ist, dann ist Sokrates sterblich.

Intuitiv passiert Folgendes: Beim Anwenden der (UI)-Regel entfällt der Textteil „Für alle Entitäten gilt:“ aus (1b), und der Begriff „Entität“ aus (UI) wird mit „Sokrates“ identifiziert, welcher also die Rolle von „E“ einnimmt.

Aussage (*) hat nun die sprachliche Form, wie sie von der ersten Voraussetzung (MP) gefordert wird: Sie ist eine „wenn-dann“-Aussage. Annahme (2) ist identisch zum „wenn“-Teil von (*); damit sind beide Voraussetzungen von (MP) erfüllt und wir können die Schlussregel auf (*) und (2) anwenden (identifiziere „A“ mit „Sokrates ist ein Mensch“ und „B“ mit „Sokrates ist sterblich“) und wir erhalten ...

                  (**) Sokrates ist sterblich

als Resultat. Das ist genau, was wir zeigen wollten ((3) vom Anfang), also sind wir fertig – es handelt sich um eine gültige Schlussfolgerung und wir können beruhigt ausschließen, dass Sokrates auf ewig leben wird.

Die Menge von verfügbaren Schlussregeln enthält in der Regel mehr als nur (UI) und (MP), und ist dabei so gewählt, dass alle wahren Aussagen auch tatsächlich durch eine endliche Kombination von Schlussregeln hergeleitet werden können.

Logik ist nicht gleich Logik

Friedrich Ludwig Gottlob Frege (1848 – 1925)
Friedrich Ludwig Gottlob Frege (1848 – 1925)

Wo kommen die Schlussregeln, wie (UI) und (MP) oben, nun her? Tatsächlich ist es so, dass die moderne formale Logik wie sie heute existiert noch recht jung ist, und erst seit dem 19. Jahrhundert mit Arbeiten von u.a. Gottlob Frege entstand.[3] Freges revolutionäre „Begriffsschirft“ (1879) bereitete den Weg für eine neue, mathematische, Form der Logik, die Aristoteles’ Syllogistik in Exaktheit und Formalität weitgehend ablöste. Seitdem hat sich das Feld der formalen Logik weiterentwickelt und ist in vielen Feldern, zum Beispiel der Philosophie, Mathematik und Informatik, eng verwurzelt. Dabei hat sich allerdings auch die Vielfalt der verschiedenen Logiken erhöht. Eine „Logik“ ist gleichermaßen die (mathematische) Sprache, in der die Argumente formuliert werden, als auch die Menge ihrer Grundannahmen (werden immer als gültig angenommen) und Schlussregeln, die man nutzen kann, um gültige Schlüsse zu formen. Es gibt aber mehr als nur eine Logik, und verschiedene Logiken unterscheiden sich teilweise sehr stark voneinander. Es folgen nun einige unterschiedliche Logiken.

Zu den berühmtesten Logiken zählen sicherlich die Aussagen- und Prädikatenlogik (auch als „klassische Logiken“ bezeichnet). Sie enthalten die Regeln (MP) und (UI) von weiter oben und noch einige mehr, die hier nicht alle aufgelistet werden. Eine weitere Schlussregel klassischer Logik soll aber noch diskutiert werden, genannt Beweis durch Widerspruch (Wdspr):

                  (Wdspr) Falls aus „nicht A“ ein Widerspruch folgt, dann gilt „A“.

Vereinfacht gesagt, erlaubt (Wdspr) eine Aussage zu beweisen, in dem man das Gegenteil der Aussage als unmöglich etabliert. Die Gültigkeit der Aussage „Sokrates ist sterblich“ von oben kann mithilfe dieser Regel auch auf folgendem Weg gezeigt werden (etwas verkürzt):                 

                  1. Nehme an, dass Sokrates nicht sterblich ist (Gegenteil von (3)).

                  2. Hieraus und aus (1) folgt dann, dass Sokrates kein Mensch sein kann.

                  3. Dies widerspricht aber der Annahme (2).

                  4. Nach (Wdspr) ist damit (3) gültig.

Diese Art von Argumentation wäre zum Beispiel in intuitionistischer Logik, einem Logik-System des Konstruktivismus, kein gültiger Schluss – in intuitionistischen Logiken werden Widerspruchsbeweise abgelehnt und entsprechend ist in diesen Logiken (Wdspr) keine akzeptierte Schlussregel (das ursprüngliche Argument mithilfe von (UI) und (MP) ist aber auch dort akzeptabel).

Ein weiteres Beispiel für alternative Logiken sind die parakonsistenten Logiken, welche das sogenannte „Prinzip der Explosion“ ablehnen; hier ist der folgende Schluss (welcher in klassischen Logiken gültig ist) nicht mehr gültig:

                  (EXPL) Falls „A“ und „nicht A“ gültig sind, dann ist auch „B“ gültig

Anders gesagt: Aus einem Widerspruch („A“ und „nicht A“) können beliebige Aussagen („B“) geschlossen werden. So wäre zum Beispiel aus der Sicht der klassischen Logiken nichts an dem Schluss von „es regnet“ und „es regnet nicht“ auf „der Mond ist aus Käse“ einzuwenden. Bei sprachlichen Äußerungen im Alltag kann es allerdings recht schnell zu Widersprüchen kommen, zum Beispiel bei subjektiven Äußerungen (regnet es schon oder nieselt es noch?) – sollen dann daraus wirklich alle Aussagen logisch korrekt gefolgert werden können?

 In klassischen Logiken ist auch zum Beispiel der folgende Schluss immer gültig:

                  (Mono) Falls „wenn A dann C“ gilt, dann gilt auch „wenn A und B dann C“

Intuitiv sagt diese Schlussregel aus, dass bereits gezogene Schlussfolgerungen nicht verloren gehen, falls man neues Wissen (hier: „B“) hinzunimmt. Das mag für mathematische Anwendungen vielleicht noch sinnvoll erscheinen, aber wollen wir so eine Schlussregel auch für allgemeine rationale Argumentationen annehmen? Ein einfaches Beispiel macht dies zumindest fragwürdig: Nehmen wir an, dass ich folgendes behaupte:

                  (4) „Wenn ich Zucker in meinen Kaffee streue, dann schmeckt der Kaffee besser.“

Über die Gültigkeit dieser Aussage kann man durchaus streiten (z.B., wenn man keinen süßen Kaffee mag), dennoch müsste ich, falls ich zu dieser Aussage stehe, nach obiger Schlussregel auch die folgende Aussage als gültig akzeptieren:

                  (5) „Wenn ich Zucker in meinen Kaffee streue und ich Salz in meinen Kaffee streue,
                  dann schmeckt der Kaffee besser.“

Hier wird (verkürzt) „Zucker in den Kaffee“ als „A“, „Salz in den Kaffee“ als „B“ und „Kaffee schmeckt besser“ als „C“ eingesetzt. Der Schluss ist also unumstößlich gültig, zumindest in Aussagen- und Prädikatenlogik – aber ist er damit auch wahr? Dieser Effekt (genannt Monotonie) ist immer dann ein Problem, wenn es zu üblichen Aussagen eben auch Ausnahmen gibt, oder man über unvollständige Beobachtungen Schlussfolgerungen anstellt (die sich durch neues Wissen ändern können). Sogenannte nicht-monotone Logiken greifen diese Problematik auf und lehnen das Prinzip der Monotonie deshalb ab, deshalb ist der Schluss von (4) zu (5) in diesen Logiken nicht unbedingt gültig. Ähnlich verhält es sich mit dem bekannten Beispiel von Vögeln und Pinguinen: Im Gegensatz zu klassischen Logiken widersprechen sich die Aussagen „Alle Vögel fliegen“ und „Pinguine sind Vögel und fliegen nicht“ in nicht-monotonen Logiken nicht. Daher kann in klassischer Logik mithilfe von (EXPL), von oben, nun einwandfrei die Aussage „Der Autor dieses Essay ist Fußball-Weltmeister“ hergeleitet werden, in nicht-monotonen (und auch in parakosistenten) Logiken jedoch nicht.

Welche Logik ist nun die richtige?

Pinguine sind flugunfähige Vögel, die ihre Fähigkeit zu fliegen aufgegeben haben, um besser schwimmen und tauchen zu können.
Pinguine sind flugunfähige Vögel, die ihre Fähigkeit zu fliegen aufgegeben haben, um besser schwimmen und tauchen zu können.

Was hier nur angedeutet werden kann, ist eine wichtige Einsicht: Es gibt nicht „die eine Logik“. Im Gegenteil: Es gibt einen ganzen „Zoo von Logiken“, und je nach Anwendungsbereich werden verschiedene Logiken eingesetzt oder neu entwickelt. Lineare Logik, als eine konkrete Beispiel-Logik, behandelt Aussagen als verbrauchbare Ressourcen: Sobald eine Annahme als Voraussetzung eines Schlusses genutzt wurde, kann sie kein weiteres Mal genutzt werden. Das ist praktisch im Kontext von Software- und Hardwaresystemen (identifiziere Annahmen als Bargeldmünzen in Verkaufsautomaten). Jedes Logik-System kann tendenziell ganz andere Schlüsse zulassen und als gültig ansehen und insbesondere dabei anderen Logik-Systemen widersprechen. Die Wahl der konkreten Logik für einen konkreten Kontext kann und sollte also kritisch hinterfragt werden. Für logikbasierte KI-Systeme, die menschliches Schließen nachbilden sollen, ist die Schaffung einer passenden Logik zum Teil noch eine offene Fragestellung.

Letztlich sind gültige Aussagen in einer Logik eben nur relativ zu diesem Bezugssystem (also der gewählten Logik) wahr. Logiken sind abstrakte Modelle von folgerichtigem Denken und ähnlich zu Modellen aus anderen Disziplinen mal mehr und mal weniger adäquat. Die Frage, wie viel Wahrheit nun in einem gültigen logischen Schluss steckt, muss also unter kritischer Auseinandersetzung mit der gewählten Logik auf der Meta-Ebene diskutiert werden. Auch mit den sehr hilfreichen und erfolgreichen Methoden der Logik für rationale Argumentationen, kann sie wohl Fragen nach der einen, echten, metaphysischen Wahrheit nur bedingt beantworten.[4]

Anmerkungen

  1. Aus dem lateinischen „Modus ponendo ponens“, zu deutsch verkürzt „Setzende Schlussfigur“.

  2. „Instanziierung“ bezeichnet das Ersetzen von Platzhaltern durch konkrete Objekte (hier: Aussagen).

  3. Formale Logik spielt seitdem auch eine wichtige Rolle für eine einheitliche formale Grundlage der Mathematik, welche durch die Entdeckung von widersprüchlichen Schlussfolgerungen (wie der Russellschen Antinomie) Anfang des 20. Jahrhunderts in eine Grundlagenkrise geriet.

  4. Erwähnt werden sollten hier z.B. die fundamentalen Einschränkungen von Logikformalismen, die von Kurt Gödel in seinen Unvollständigkeitssätzen gezeigt wurden.

Prof. Dr. Alexander Steen

Alexander Steen studierte Mathematik (B.Sc) und Informatik (B.Sc. und M.Sc.) an der Freien Universität Berlin. Anschließend arbeitete Steen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Dahlem Center for Robotics and Machine Learning am Institut für Informatik der FU Berlin, wo er die prämierte KI-Software „Leo-III“ als Teil seiner Doktorarbeit entwickelte. Er wurde 2015 zusammen mit Kollegen mit dem Zentralen Lehrpreis der FU Berlin für die Konzeption einer neuartigen, interdisziplinären Vorlesung zur "Computational Metaphysics" ausgezeichnet und zum Junior-Fellow der deutschen Gesellschaft für Informatik (GI) ernannt. Nach seiner Promotion im Bereich der Künstlichen Intelligenz wechselte er 2018 an die Universität Luxembourg, um dort an computergestütztem normativen Schließen zu forschen. Seit 2022 ist Alexander Steen Juniorprofessor für Informatik an der Universität Greifswald und konzentriert sich auf Grundlagenforschung im Gebiet der symbolischen KI und auf Anwendungen solcher KI-Systeme zum Beispiel in den Rechtswissenschaften.