Aktuelles | Presse###Magazin###Interviews###Kurzinterview Prof. Dr. Stefan Oeter

„Wecken von Verständnis für die Eigenlogik von Forschung“

Prof. Dr. Stefan Oeter im Gespräch

Die „Eigenlogik von Forschung“ zu erklären: Auch daran liegt Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Stefan Oeter in seiner neuen Funktion als Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg. Seit dem 1. Juli ist das langjährige Akademiemitglied im Amt und damit Stellvertreter von Akademiepräsident Prof. Dr. Mojib Latif. Im Gespräch zu Oeters Amtsantritt standen die neuen Aufgaben und Herausforderungen für ihn und die Akademie im Mittelpunkt. Er erläutert, welche Chancen die Akademie für ihre Mitglieder und in puncto Langzeitforschung bietet. Dabei bezieht Oeter sich auch auf jene Entwicklungen, die die wissenschaftliche Gemeinschaft aktuell beschäftigen.

Was reizt Sie am Amt des Vizepräsidenten?

Als Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften ist man sehr viel stärker nach außen sichtbar als in der Rolle eines ‚normalen‘ Vorstandsmitglieds. Dies ist mir insofern wichtig, als ich in den letzten Jahren zunehmend die Beobachtung einer erkennbaren ‚Wissenschaftsferne‘ in nicht unerheblichen Teilen der Gesellschaft machen musste. Das grundlegende Vertrauen in das System der Wissenschaft hat in Teilen unserer Gesellschaft massiv gelitten. Besonders sichtbar geworden ist dies während der Pandemie der Jahre 2020 bis 2023. Wissenschaft gilt in Teilen der Gesellschaft als ‚abgehoben‘, als Teil des Establishments, das nur seine Eigeninteressen verfolge. Blickt man auf diesen Vertrauensverlust von Wissenschaft, so sind wir aufgerufen, nicht nur unsere konkreten Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit zu tragen, sondern viel stärker als bislang üblich um Verständnis für die Eigenlogik der wissenschaftlichen Erkenntnisprozesse zu werben – und diese auch besser in die Öffentlichkeit zu kommunizieren.

In Ihrem Statement zur Wahl des Vizepräsidenten haben Sie Ihre Wertschätzung für die fächerübergreifende Arbeitsweise der Akademie betont, welcher Austausch mit anderen Akademiemitgliedern ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Besonders geprägt haben mich in diesem Zusammenhang die fünf Jahre gemeinsamen Nachdenkens in der Arbeitsgruppe „Legitimierung von Wissensbeständen“, und im Anschluss nun die (wiederum zu Ende gehende) Arbeitsgruppe Gerechtigkeitsvorstellungen im globalen Vergleich“. Ich habe es als großes Privileg empfunden, mit interessanten Kolleginnen aus ganz unterschiedlichen disziplinären Herkünften so ungezwungen – und ohne große organisatorische Klimmzüge – über Grundfragen des Wissenschaftssystems und unserer gesellschaftlichen Grundverständnisse diskutieren zu können, unter Beiziehung renommierter Kolleginnen und Kollegen von außerhalb.

Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie für die Akademie in den nächsten Jahren?

Chancen für die Akademie sehe ich vor allem in ihrer Rolle als ‚Botschafter‘ der Wissenschaft in der Öffentlichkeit. Die Akademie wird breit wahrgenommen und hat mit ihren neuen Formaten in den sozialen Medien und im Internet auch eine große Reichweite entwickelt. In dieser Rolle geht es aus meiner Sicht weniger um die Verbreitung konkreter wissenschaftlicher Befunde, sondern um das Wecken von Verständnis für die Eigenlogik von Forschung und die – für Laien häufig irritierende – Unabgeschlossenheit wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse. Herausforderungen liegen dagegen im Bereich der zunehmenden Ressourcenknappheit des Wissenschaftssystems, die auf mittlere Sicht den weiteren Aufwuchs neuer Langzeitvorhaben beschränken werden. Außerdem könnte die Ressourcenknappheit ein Hindernis darstellen auf dem Weg zur Lösung der – nach wie vor drängenden – Frage, wie die Akademie räumlich untergebracht ist.

Was leistet eine Akademie, wie die hier mit Sitz in Hamburg, für Wissenschaft und Gesellschaft, was andere nicht können?

Eine Akademie wie die unsrige hat aus meiner Sicht zwei strategische Stärken, die sie aus den Institutionen des sonstigen Wissenschaftssystems heraushebt. Dies ist zum einen der lange Atem, mit dem an den Akademien wissenschaftliche Forschung betrieben wird – und dieser lange Atem drückt sich vor allem in den Langzeitvorhaben des Akademienprogramms aus, in dem Forschung in Zeithorizonten weit jenseits der kurz- und mittelfristigen Orientierung der zunehmend Drittmittel-getriebenen universitären Forschung betrieben werden kann. Die andere Stärke ist die zwanglose Interdisziplinarität einer klassenlosen Akademie, in der sich Forschende aus ganz unterschiedlichen Disziplinen unter dem Leitstern gemeinsamer Erkenntnisinteressen ohne großen Organisationsaufwand zu disziplinenübergreifenden Arbeits- und Projektgruppen zusammenfinden können – und dies auch noch im Verbund ganz unterschiedlicher Forschungsstandorte über vier Bundesländer hinweg.

Welche konkreten Ideen für ihr Engagement als Vizepräsident haben Sie?

Schon bislang habe ich mich stark im Bereich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses engagiert – und dies gedenke ich in der Zeit meiner Vizepräsidentschaft noch auszubauen. Formate wie das Young-Academy-Fellow-Programm und das Forum Junge Wissenschaft binden nicht nur jüngere, noch nicht arrivierte junge Forschende in die Arbeit der Akademie ein, sie verjüngen damit die Zusammensetzung der Akademie und bereichern die Kultur der wissenschaftlichen Debatten im Rahmen der Akademie. Im Kontext dieser Nachwuchsförderprogramme bietet sich auch die Chance, epistemische Verfestigungen bestehender Forschung aufzubrechen und innovative, zukunftsträchtige Forschungsfragen wie Forschungsformate stärker in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Damit wird die Akademie in gewissem Maße zu einem Labor der Wissenschaft der Zukunft.

Das Interview führte Siri-Marie Callsen

Veröffentlicht am 21.08.2025

Zur Person

Prof. Dr. Stefan Oeter, geboren 1958, ist seit Sommer 1999 Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und ausländisches Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Er erforscht vor allem Fragen der Eindämmung militärischer Gewalt, was Ausdruck findet in einer intensiven Beschäftigung mit Fragen der Friedenssicherung und des humanitären Völkerrechts. Darüber hinaus befasst sich Oeter mit Fragen der institutionellen Verarbeitung von Vielfalt in föderalen Systemen, was im Besonderen den Schutz sprachlicher und kultureller Minderheiten beinhaltet. Im Verlauf seiner akademischen Laufbahn führte dieses Interesse zu einer Reihe von Projekten und Arbeiten zu Verfassungsfragen Europas. Darüber hinaus haben sich Forschungsinteressen im Bereich des Wirtschaftsvölkerrechts sowie der Theorie des Völkerrechts und des Global Constitutionalism herausgebildet.