Freiheit messen und international vergleichen

Freiheit ist ein schillerndes und vielschichtiges Konzept. Lässt sich Freiheit wirklich messen und länderübergreifend sowie historisch vergleichen? Und warum sollte man das überhaupt wollen?
Essay von Michael Brzoska, 18. Juni 2024

Die Victoria-Falls-Brücke verbindet das politisch freier eingestufte Sambia mit dem weniger freien Nachbarn Simbabwe. Laut dem Freedom House Index 2023 erhält Sambia 54 Punkte und Simbabwe 28 Punkte (vgl. Fußnote 7).
Die Victoria-Falls-Brücke verbindet das politisch freier eingestufte Sambia mit dem weniger freien Nachbarn Simbabwe. Laut dem Freedom House Index 2023 erhält Sambia 54 Punkte und Simbabwe 28 Punkte (vgl. Fußnote 7).

Freiheit ist eng mit anderen Konzepten, insbesondere mit Menschenrechten, Demokratie, wirtschaftlichem Wohlstand und Sicherheit verbunden. In Sichtweisen, die sich als liberal oder libertär bezeichnen lassen, geht es vornehmlich um Einschränkungen des Tuns und Seins von Individuen oder Kollektiven auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten. Dafür ist von dem englischen Philosophen Isiah Berlin der Begriff „negative Freiheit“ eingeführt worden.[1] Dem stehen Sichtweisen gegenüber, in denen auch die Fähigkeiten zum Tun und Sein als Element der Freiheit angesehen werden, die sich mit dem Begriff „positive Freiheiten“ verbinden lassen. Nur für „negative Freiheit“ stehen umfassende Indizes zur Verfügung, von denen zwei international prominente Indizes im Folgenden knapp vorgestellt werden. Mit Hilfe leicht zugänglicher Datensätze, die allerdings vor allem Demokratie, wirtschaftlichen Wohlstand und Sicherheit messen sollen, können auch darüber hinaus gehende Verständnisse von Freiheit gemessen, über die Zeit und international verglichen werden.

Warum Freiheit messen und wie?

Die Interessen, die hinter den vielen Vergleichsstudien zur Freiheit stehen, sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von sozialwissenschaftlichem Interesse an quantitativen Untersuchungen, etwa zu statistischen Korrelationen zwischen Freiheit und anderen Konzepten wie wirtschaftlichem Wohlstand, bis hin zu staatlichem Interesse an der Einstufung anderer Staaten, etwa für Entscheidungen, darüber mit wem international zusammengearbeitet werden soll.

Oft geht es auch um die Sichtbarmachung von Einschränkungen von Freiheit. Transparenz über Einschränkungen soll Gegenbewegung fördern. Die Quantifizierung dient der Darstellung von Entwicklungen über die Zeit oder im internationalen Vergleich, der oft eine größere Klarheit und Objektivität zugeschrieben wird als verbalen Einschätzungen und Vergleichen. Veränderungen werden dann als Belege für gute oder schlechte Politik angeführt. Quantifizierungen von Freiheit werden so zum politischen Instrument. Umso wichtiger wird damit, wie Freiheit gemessen wird.

Subjektive Freiheit

Der vielleicht naheliegendste Gedanke ist, Individuen oder Gruppen zu befragen, als wie frei oder unfrei sie sich ansehen. Die Ergebnisse solcher Umfragen, wie z.B. der Gallup Global Poll, der Gallup Organization, eines Markt- und Meinungsforschungsinstituts mit Sitz in Washington, sind jedoch sehr interpretationsbedürftig. Auf die Frage: „Sind Sie in Ihrem Land zufrieden mit Ihrer Freiheit, selbst zu entscheiden, was Sie mit Ihrem Leben anfangen?“ antworteten im Jahre 2017, dem letzten für das Daten veröffentlicht wurden,[2] durchschnittlich 80 % der Menschen weltweit, mit dem Grad ihrer Freiheit zufrieden zu sein. Die Rangfolge der Staaten mit den besten Werten ist überraschend. So waren 2017 Usbekistan mit 97 Prozent und Kambodscha mit 96 Prozent die beiden Staaten mit den höchsten Werten, beides Staaten mit autoritären Regierungen. Möglicherweise hatten die Befragten Angst, ihre wahre Meinung zu sagen, auch wenn Gallup Wert auf Anonymität legt. Aber auch in Demokratien sind Umfragen problematisch. So war etwa der Wert für die USA im Wahljahr 2016 von 87 Prozent auf 75 Prozent abgerutscht, um dann 2017, nach dem Wahlsieg des Republikaners Donald Trump, wieder auf den Wert vor dem Wahljahr anzusteigen. Und in Deutschland, wo das Institut für Demoskopie Allensbach regelmäßig Umfragen zur Meinungsfreiheit in Deutschland macht, waren im Jahre 2023 nur 40 Prozent der Befragten der Ansicht, dass sie ihre politische Meinung frei äußern könnten, während es 1990 noch 78 Prozent gewesen waren.[3]

Offensichtlich verstehen Menschen Unterschiedliches, wenn sie danach gefragt werden, wie frei sie sind, und auch im Zeitverlauf nicht immer dasselbe. Das legt es nahe, zu versuchen, die Messung von Freiheit zu objektivieren, Daten unabhängig von den Vorstellungen und Meinungsäußerungen von Individuen zu gewinnen. Das bedeutet aber, dass Maßstäbe für Freiheit von denjenigen gesetzt werden müssen, die quantifizieren wollen ­­­­­– angesichts der Vielschichtigkeit und Umstrittenheit der Reichweite von Freiheit ein im Kern politisches Unterfangen.

Die Messung von Freiheit hat noch weitere Probleme. Einschränkungen etwa durch Gesetze lassen sich zwar leicht messen, aber können auch gerechtfertigt sein, zum Beispiel um die Freiheit anderer zu sichern. Auch können rechtlich verordnete Einschränkungen und tatsächliche Einschränkungen der Handlungsfreiheit von Individuen und Gruppen deutlich voneinander abweichen, etwa auf Grund gesellschaftlicher Konventionen dessen, was toleriert wird und was nicht.

Grenzübergang Narva im Jahr 2010, zwischen Estland ("frei", 94 Punkte) und Russland ("nicht frei", 16 Punkte), Freedom House Index 2023 [7]
Grenzübergang Narva im Jahr 2010, zwischen Estland ("frei", 94 Punkte) und Russland ("nicht frei", 16 Punkte), Freedom House Index 2023 (vgl. Fußnote 7)

Freies Tun, freies Sein

Diese Schwierigkeiten führten zum Versuch, tatsächliche Einschränkungen der Handlungsfreiheit zu messen. Dafür bedarf es einer Einschätzung dessen, welches freie Tun oder Sein – also Tun oder Sein ohne Einflussnahmen von anderen – zu erwarten ist. Ein Beispiel, dass die damit verbundenen Schwierigkeiten andeutet, ist die Messung der Freiheit, sich politisch in Gruppen wie Parteien zu organisieren. Es lässt sich zwar etwa messen, wie hoch der Anteil der in Parteien organisierten Personen an der Gesamtbevölkerung ist, aber was sagt das aus? Parteimitgliedschaft könnte für beruflichen Aufstieg notwendig sein oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe signalisieren. Andererseits könnten aber viele Menschen kein Interesse haben, sich politisch zu organisieren, und es deswegen nicht tun.

In Fällen, in denen Daten, die tatsächliches Handeln oder Sein erfassen, komplex, nicht oder nur schwer ermittelbar sind, ist ein weiterer Ansatz, Expert:innen einschätzen zu lassen, ob und inwieweit nach ihrer Ansicht Freiheit eingeschränkt ist.

Ein weiterer Ansatz für die Messung von Freiheit über einzelne Aspekte hinaus ist der Ersatz von direkten Indikatoren durch solche, von denen angenommen wird, dass sie eng mit Freiheit korrelieren. Auch hier steht vorab die Entscheidung über das Verständnis von Freiheit. Für ein enges, „negatives“ Verständnis sind vor allem Indikatoren für demokratische Rechte und Verfahren von Bedeutung. Für ein weiteres Verständnis, wie es etwa der indische Ökonom und Philosoph Amartya Sen entwickelt hat,[4] sind vor allem Indikatoren für Handlungsmöglichkeiten von Individuen und Gruppen relevant, einschließlich der materiellen Fähigkeiten zu sein oder zu tun. Darüber hinaus sind für jedes Verständnis von Freiheit Aspekte von individueller und kollektiver Sicherheit grundlegend, von Rechtssicherheit durch eine unabhängige Justiz bis hin zur Abwesenheit von kriegerischer Gewalt.

Ein besonders enges Verhältnis zueinander haben Indikatoren für Freiheit und Menschenrechte. Viele der in den verschiedenen internationalen Abkommen vereinbarten Menschenrechte sind Freiheiten. In diesen Abkommen spiegeln sich allerdings wiederum die politischen Kontroversen darüber, was Freiheit alles umfasst. So sind die bürgerlichen und politischen Rechte, die überwiegend Abwehrrechte gegen Einflussnahmen von außen sind, in einem internationalen Pakt verankert, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die häufig staatliche Aktivitäten erfordern, in einem zweiten.

Aus Sicht des Freedom House Index 2023 sind diese 16 Länder diejenigen mit den größten Einschränkungen bei politischen und bürgerlichen Freiheiten.
Nach dem Freedom House Index 2023 sind diese 16 Länder diejenigen, in denen die politischen und bürgerlichen Freiheiten am stärksten eingeschränkt sind.

Freedom House Index

Der nach eigenen Angaben weltweit am häufigsten zitierte Freiheitsindex stammt vom US-amerikanischen Freedom House, einem privaten Forschungs- und Beratungsinstitut.[5] Freedom House wird überwiegend durch projektgebundene Zuwendungen der US-Regierung, aber auch von Stiftungen und Privatpersonen finanziert, wobei die Erstellung des Freedom-in-the-World-Index (FIWI) nur durch letztere finanziert wird. Freedom House setzt sich „für die Verteidigung der Menschenrechte und die Förderung des demokratischen Wandels ein, wobei der Schwerpunkt auf politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten liegt. Wir wirken als Katalysator für Freiheit durch eine Kombination aus Analyse, Interessenvertretung und Aktion.“[6]

Insgesamt wurden für die bei Abfassung dieses Textes letzten verfügbaren Freedom-in-the-World-Länderliste für 2023 25 Datensätze für 195 Staaten und 15 Gebiete erstellt.[7] Sie sollen die beiden zentralen liberalen Kategorien „bürgerliche Freiheiten“ und „politische Rechte“ abdecken. Die Datensätze, die für den FIWI genutzt werden, sind quantifizierte Einschätzungen von Expert:innen für einzelne Länder und Regionen.

Der globale FIWI ist seit 2005 kontinuierlich gesunken auf einen Wert von 55 von 100 möglichen Punkten im Jahre 2023. Nach dem letzten Freedom House Bericht wurden politische Rechte und bürgerliche Freiheiten in 52 Ländern eingeschränkt, während nur für 21 Länder Verbesserungen geschätzt wurden. Hauptursachen waren weit verbreitete Probleme bei Wahlen, einschließlich Gewalt und Manipulation, sowie bewaffnete Konflikte.[8] Mit 94 Punkten wird Deutschland im FIWI für 2023 als „frei“ eingestuft. Trotzdem liegt Deutschland nur auf dem 25. Platz unter 210 erfassten Staaten und Territorien, zusammen mit Andorra, Dominika, den Marshallinseln, Österreich und Tuvalu. Abstriche werden von den Expert:innen des Freedom House insbesondere bei den Indikatoren zu Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Schutz vor staatlicher und privater Gewalt und gleicher Behandlung aller im Rechtssystem gemacht.

Laut dem Human Freedom Index 2023 kommen diese 21 Länder dem eigenen Verständnis eines "freien Landes" am nächsten.
Laut dem Human Freedom Index 2023 zählen diese 21 Länder zu den freiesten der Welt, zumindest nach dem Freiheitsbegriff der Studienersteller:innen des Cato Institute und des Fraser Institute.

Human Freedom Index

Ein zweiter international prominenter Datensatz ist der Human Freedom Index (HFI).[9] Er wird seit 2015 vom privaten US-amerikanischen Cato Institute in Kooperation mit dem ebenfalls privaten Fraser Institute aus Kanada erstellt. Das Cato Institute steht der Libertären Partei in den USA nahe.[10] Der HFI wurde in der Vergangenheit auch von der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützt, die der FDP nahesteht.[11]

Grundlage des HFI ist ein Verständnis von Freiheit als Wert an sich. Es heißt dort: „Die menschliche Freiheit befähigt die Menschen, zu tun, was sie wollen, frei von Zwängen oder Strafen, solange sie nicht die Freiheit eines anderen beeinträchtigt.“ Im HFI werden zwei Elemente von Freiheit zusammengeführt: „persönliche Freiheit“ und „wirtschaftliche Freiheit“. Für den HFI werden keine eigenen Daten erhoben, sondern Datensätze aus anderen Quellen verwendet, die einheitlich skaliert werden. Der höchstmögliche Wert für den HFI ist 10.

Für den letzten verfügbaren HFI für 2023 wurden 82 Datensätze für 165 Staaten und Gebiete mit dem Stand 2021 aus einer Vielzahl von Quellen genutzt.[12] Angeführt wird die Liste der Länder von der Schweiz mit einem HFI von 9,01, gefolgt von Neuseeland. Der weltweite Durchschnittswert lag bei 7,12. Der globale HFI ist seit einem historischen Höchstwert im Jahre 2007 kontinuierlich gesunken.

Deutschland liegt mit einem Indexwert von 7,73 auf Platz 23 unter den 165 erfassten Gebieten. Für den relativ niedrigen Wert sind vor allem zwei Indikatoren aus dem Bereich der „wirtschaftlichen Freiheit“ verantwortlich: Anteil der Staatsausgaben am Nationaleinkommen (5,56 und Platz 131) und individuelle Bewegungsfreiheit (6,61 und Platz 62).

Fokus auf unternehmerischer oder bürgerlicher Freiheit?

Die beiden Indizes, FIWI und HFI, unterscheiden sich sowohl in der Methodik wie dem Spektrum der Indikatoren zwar deutlich, die Ergebnisse fallen aber nicht sehr unterschiedlich aus, sie sind hoch miteinander korreliert (Rangkorrelationskoeffizient von 0,9). In beiden Indikatoren liegen Mitgliedsstaaten der EU und weitere sogenannten westliche Staaten an der Spitze der Listen. Unterschiede ergeben sich vor allem dann, wenn Staaten mit relativ schlechten Werten für bürgerliche Freiheiten oder politische Rechte zugleich große Freiheit für unternehmerische Aktivitäten bieten, geringe Steuerquoten oder kleine Staatsanteile am Nationaleinkommen haben wie etwa Singapur und Saudi-Arabien. Dafür sind Demokratien häufig im FIWI besser eingestuft als im HFI, insbesondere dann, wenn sie besonders hohe Staatsanteile am Nationaleinkommen haben, den internationalen Handel durch hohe Abgaben erschweren oder als sehr bürokratisch gelten wie Argentinien, Belgien und Uruguay.

Grenzübergang nahe Santa Elena de Uairén im Jahr 2010, zwischen Brasilien ("frei", 72 Punkte) und Venezuela ("nicht frei", 15 Punkte), Freedom House Index 2023 [7]
Grenzübergang nahe Santa Elena de Uairén im Jahr 2010, zwischen Brasilien ("frei", 72 Punkte) und Venezuela ("nicht frei", 15 Punkte), Freedom House Index 2023 (vgl. Fußnote 7)

Alternative Indikatoren für Freiheit

Auch breitere Verständnisse von Freiheit als die liberalen und libertären[13] von FIWI und HFI lassen sich mit Indikatoren abbilden. Diese Datensätze fokussieren nicht explizit auf den Freiheitsbegriff und erheben auch keinen Anspruch darauf, Freiheit umfassend zu quantifizieren, anders als FIWI und HFI.

Einerseits eng mit individueller und kollektiver Freiheit verwandt sind Indikatoren zur Messung von politischen Systemen, insbesondere Demokratie, die andererseits aber auch in der Berücksichtigung etwa von Wahlverfahren, aber auch Korruption darüber hinausgehen. Die in der Wissenschaft viel genutzte Quelle, das Varieties-of-Democracy-Forschungsprojekt (V-Dem),[14] stellt allein aktuell Datensätze für 471 Variablen zur Verfügung, die auch zu verschiedenen Indizes, wie dem V-Dem-Index für liberale Demokratie, zusammengefasst werden. Die überwiegende Zahl der Datensätze von V-Dem beruht auf Einstufungen von Länderexpert:innen. V-Dem ist an der Universität Göteborg angesiedelt, aber ein globales Projekt, an dem fast viertausend Wissenschaftler:innen aus aller Welt beteiligt sind.

Für ein Verständnis von Freiheit, in dem Fähigkeiten berücksichtigt werden, sind wirtschaftliche Indikatoren einschlägig. Auch für Armut und Wohlstand stehen zahlreiche Indikatoren zur Verfügung. Allein die Weltbank stellt in ihrem Datenportal 1.400 Datensätze für 217 Staaten und Territorien der Öffentlichkeit zur Verfügung,[15] Der bereits erwähnte Ökonomie-Nobelpreisträger Sen hat in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) einen sehr einfachen Indikator für Entwicklung als zentraler Voraussetzung, Freiheit wahrnehmen zu können, entwickelt, den Human Development Index (HDI).[16]

Schließlich soll noch kurz auf den Aspekt der Sicherheit, der „freedom from fear“,[17] eingegangen werden. Hier stehen zwar vergleichsweise wenig Indikatoren zur Verfügung, aber mit dem Global Peace Index (GPI)[18] des australischen Institute for Economics und Peace gibt es einen umfassenden Index, in dem insgesamt 23 Datensätze zu den Bereichen gesellschaftliche Sicherheit, innerstaatliche und internationale Konflikte sowie Militarisierung zusammengefasst werden.

Nicht nur FIWI und HFI korrelieren untereinander hoch, auch die statistischen Zusammenhänge zwischen diesen Indizes und den weiteren hier vorgestellten sind stark. Jeder für sich spiegelt unterschiedliche Aspekte, die sich als Elemente von Freiheit verstehen lassen.

Demarkationslinie in der demilitarisierten Zone zwischen Nordkorea (vorne) und Südkorea (Hintergrund). Hier grenzt eines der unfreisten Länder der Welt mit 3 Punkten an ein freies Land mit 83 Punkten, laut Freedom House Index 2023. [7]
Demarkationslinie in der demilitarisierten Zone zwischen Nordkorea (vorne) und Südkorea (Hintergrund). Hier grenzt eines der unfreisten Länder der Welt mit 3 Punkten an ein freies Land mit 83 Punkten, laut Freedom House Index 2023. (vgl. Fußnote 7)

Schlussfolgerung

Die verschiedenen vorliegenden Ansätze zur Quantifizierung, mit denen intertemporale und internationale Vergleichbarkeit von Freiheit möglich gemacht werden soll, spiegeln die internationale Diskussion darüber, was Freiheit ausmacht und welche Elemente sie enthält. Nur für liberale und libertäre Vorstellungen werden allerdings explizit so titulierte, umfassende Freiheitsindizes erstellt. Genauere Begründungen, warum welche Indikatoren aufgenommen und wie sie gewichtet werden, sind knapp. Für den Freedom in the World Index des US-amerikanischen Freedom House fehlt sogar eine Definition von Freiheit.[19] Freiheit wird in diesem Index wie dem Human Freedom Index des Cato Institute und Fraser Institute aus vielen Freiheiten und Rechten zusammengesetzt, wobei Indikatoren für die Möglichkeit, zu tun oder zu sein, was Personen wollen, bunt gemischt werden mit Indikatoren für die Fähigkeiten, etwas zu tun oder zu sein, was von den Institutionen, die die Indizes erstellen, als Ausdruck von Freiheit angesehen wird.

Das erheblich politische Interesse an der Quantifizierung von Freiheit für den intertemporalen und internationalen Vergleich teilen Freedom House und Cato/Fraser Institute mit zahlreichen anderen Institutionen, die Indikatoren und Indizes für einzelne Aspekte von Freiheit wie Meinungsfreiheit oder Freiheit gewerkschaftlicher oder religiöser Betätigung erstellen und publik machen.

Freiheit wird also gemessen – aber ist sie, wie eingangs gefragt, messbar? Meine Antwort: Es gibt viele Möglichkeiten, Freiheit zu messen, oder genauer, verschiedene Freiheiten zu messen. Auch die explizit so genannten Freiheitsindizes messen nur eine Freiheit, nicht die Freiheit. Sie können das Nachdenken darüber, was Freiheit ist, nicht ersetzen. Wer Freiheit quantifizieren will, muss sich vorab über ihr oder sein Verständnis von Freiheit klar sein. Die Vielzahl der Angebote an Daten macht vieles möglich. Und auch nur unter Angabe dieses Verständnisses sind Vergleiche über die Zeit oder international legitim.[20]

Fußnoten

  1. Isiah Berlin, „Two Concepts of Liberty.” In Isiah Berlin. Four Essays on Liberty. Oxford: Oxford University Press 1969.
  2. https://news.gallup.com/opinion/gallup/235973/freedom-rings-places-not-expect.aspx (Abrufdatum 02.07.2024)
  3. David Rech, Nur 40 Prozent der Deutschen glauben, Meinung frei äußern zu können, Die Zeit, 19.12.2023, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-12/meinungsfreiheit-zensur-studie-freiheitsindex-deutschland-2023 (Abrufdatum 02.07.2024)
  4. Amartya Sen, Development as Freedom, Oxford: Oxford University Press 1999.
  5. https://freedomhouse.org/reports/freedom-world/freedom-world-research-methodology (Abrufdatum 02.07.2024)
  6. https://freedomhouse.org/issues (Abrufdatum 02.07.2024)
  7. https://freedomhouse.org/sites/default/files/2023-03/FIW_World_2023_DigtalPDF.pdf (Abrufdatum 02.07.2024)
  8. https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2024/mounting-damage-flawed-elections-and-armed-conflict (Abrufdatum 02.07.2024)
  9. https://www.cato.org/human-freedom-index/2023 (Abrufdatum 02.07.2024) 
  10. https://cato.org/about/financial-information-funding-independence (Abrufdatum 02.07.2024)
  11. www.cato.org/sites/cato.org/files/2023-12/human-freedom-index-2023-full-revised.pdf, S. 1 (Abrufdatum 02.07.2024)
  12. https://www.cato.org/human-freedom-index/2023 (Abrufdatum 02.07.2024)
  13. Die Unterscheidung zwischen Liberalismus und Libertarismus ist graduell. In beiden Wertekosmen steht die Selbstverwirklichung des Einzelnen an erster Stelle. Unterschiede bestehen vor allem in der Einschätzung der Rolle des Staates, den Libertäre auf ein absolutes Minimum reduziert sehen wollen, während er im Liberalismus eher als notwendiges Übel angesehen wird.
  14. https://v-dem.net/data/the-v-dem-dataset/ (Abrufdatum 02.07.2024) Weitere vielgenutzte Quellen sind unter anderem das Polity Project des Center for Systematic Peace; The Global State of Democracy von International IDEA und der Bertelsmann Transformation Index. Letzterer ist allerdings nicht global.
  15. https://databank.worldbank.org/home.aspx (Abrufdatum 02.07.2024)
  16. Der zentrale HDI wird aus Datensätzen zum Einkommen, Lebenserwartung und Bildung errechnet, weitere Indizes enthalten z.B. Armutsindikatoren und unterscheiden nach Geschlechtern, siehe https://hdr.undp.org/data-center/human-development-index#/indicies/HDI (Abrufdatum 02.07.2024)
  17. Der Begriff findet sich in der berühmten „Four-Freedoms“-Rede von US-Präsident Franklin D. Roosevelt vom Januar 1941, in der seine Vorstellungen für eine bessere Zukunft formulierte. Die drei weiteren Freiheiten: „freedom of speech”, „freedom of religion” und „freedom from want”. https://www.americanrhetoric.com/speeches/fdrthefourfreedoms.htm (Abrufdatum 02.07.2024)
  18. https://www.visionofhumanity.org/maps/#/ (Abrufdatum 02.07.2024)
  19. Siehe zu Kritik an FIWI und HFI insbesondere Schreia (Anmerkung 20)
  20. Vgl. auch Malte P. Schweia, Freiheit weltweit messen. Die Kiel Freedom Indicators: Quantitative Messung von Freiheit auf qualitativer Datengrundlage Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 15. Juli 2021, https://macau.uni-kiel.de/servlets/MCRFileNodeServlet/macau_derivate_00003605/Malte_Schweia.pdf (Abrufdatum 02.07.2024)

 

Prof. Dr. Michael Brzoska

Michael Brzoska ist Senior Fellow am IFSH. Von Februar 2006 bis September 2016 war er Wissenschaftlicher Direktor des IFSH. Davor war er unter anderem Forschungsleiter und stellvertretender Direktor am Internationalen Konversionszentrum Bonn – Bonn International Center for Conversion (BICC). Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und Associate Senior Fellow des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).