Wie der Klimawandel die Freiheit bedroht
Die Freiheit ist ein hohes Gut. Sie kann aber nicht grenzenlos sein, wie schon in der Verfassung dargelegt.[1] Die persönliche Freiheit endet, wenn durch unser Handeln andere Menschen oder auch Natur und Umwelt erhebliche Beeinträchtigungen hinnehmen müssen. Der menschengemachte Klimawandel, das Problem der globalen Erwärmung, mit all seinen Auswirkungen wie die Zunahme und Intensivierung von Wetterextremen oder die steigenden Meeresspiegel nimmt Menschen die Freiheit – in Teilen oder in Gänze.
Jenseits der 1,5 Grad
Auch unter dem Gesichtspunkt der Freiheit ist es also notwendig, dass sich die Weltgemeinschaft der globalen Erwärmung entschieden entgegenstellt und den mittleren Temperaturanstieg an der Erdoberfläche begrenzt, und zwar gemäß des im Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 vereinbarte Maß auf deutlich unter 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit.[2],[3] In dem Abkommen heißt es darüber hinaus, dass die Länder versuchen wollen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. In dem 12-Monats-Zeitraum von Juli 2023 bis Juni 2024 lag die Temperatur im weltweiten Durchschnitt schon 1,64 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt.[4] Dabei ist zu beachten, dass sich die Pariser Klimaziele auf längere Zeiträume beziehen, weswegen sich die Politik weigert, das Überschreiten der 1,5-Grad-Marke offiziell anzuerkennen.[5] Berücksichtigt man die Trägheit des Klimas, wird sich der Temperaturanstieg in den kommenden Jahren fortsetzen – selbst, wenn ab jetzt weltweit keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre emittiert würden. Der Umbau der Weltwirtschaft wird Jahrzehnte dauern, und es werden auch künftig große Mengen Treibhausgase ausgestoßen, die die Erde noch mehr aufheizen werden. Aus diesen Gründen ist es bereits heute klar, dass die Welt die 1,5-Grad-Marke gerissen hat. Derzeit steuert die Menschheit auf eine globale Erwärmung von etwa 3 Grad zu. Vor diesem Hintergrund erfordert schon die Einhaltung der 2-Grad-Marke eine enorme Kraftanstrengung der Staatengemeinschaft, die kaum zu bewältigen ist. Möglich wäre es aber allemal, die 2-Grad-Marke nicht zu überschreiten. Die Menschen hielten die Mittel dazu in der Hand, was aber in diesem Essay nicht weiter ausgeführt werden soll.
Verfassungsgericht verknüpft Klimaschutz mit Freiheitsrechten
Viele Länder kommen ihren Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens nicht nach. Auch Deutschland tut sich schwer, seine Klimaziele einzuhalten. Dies hatte schon das Bundesverfassungsgericht 2021 in seinem wegweisenden Urteil zum deutschen Klimaschutzgesetz festgestellt. In dem Urteil heißt es: „Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“[6] Mit dem Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht den Klimawandel mit dem Grundrecht der Freiheit verknüpft und all denen die rote Karte gezeigt, die das Problem der globalen Erwärmung aussitzen und den nachfolgenden Generationen hinterlassen wollen.
Klimawandel zwingt Tuvalu zur Umsiedlung
Der Anstieg der Meeresspiegel ist eine der folgenschweren Auswirkungen der globalen Erwärmung. Die durchschnittliche Erhöhungsrate hat sich seit Beginn der Satellitenmessungen vor gut 30 Jahren schon verdoppelt, und eine weitere Beschleunigung des Anstiegs ist mit großer Sicherheit zu erwarten. Ein 2023 geschlossenes Abkommen zwischen Australien und dem Inselstaat Tuvalu, das in der Weltöffentlichkeit viel Beachtung gefunden hatte, soll die Aufnahme von Klimaflüchtlingen aus Tuvalu in Australien ermöglichen.[7] Tuvalu, eine Ansammlung von neun niedrig gelegenen Inseln auf halbem Weg zwischen Australien und Hawaii, ist eines der am stärksten durch den Klimawandel gefährdeten Länder. Als eines der ersten Länder, die infolge der steigenden Meeresspiegel von der Landkarte verschwinden werden, sucht Tuvalu nach Möglichkeiten, um seine Identität über den absehbaren Untergang hinaus zu erhalten und seiner Bevölkerung eine Zukunft außerhalb des jetzigen Territoriums zu bieten. Schätzungen zufolge könnte der Archipel im schlimmsten Fall noch innerhalb dieses Jahrhunderts komplett im Meer versunken sein. Australien hat angeboten, dass Personen aus Tuvalu zunächst ein spezielles Visum bekommen, mit dem sie in Down Under leben, studieren und arbeiten können. Es wird aber erwartet, dass alle gut zehntausend Einwohner des Inselstaats in der Zukunft in Australien Klimaasyl erhalten werden. Der Begriff Klimaasyl drückt in bedrückender Klarheit aus, dass es Menschen geben wird, die wegen des Klimawandels aus ihrer Heimat fliehen müssen. Das Inselreich möchte eine digitale Version seiner selbst erstellen, in der Inseln und Wahrzeichen nachgebildet und seine Geschichte und Kultur bewahrt werden sollen. Die Schaffung einer digitalen Nation würde es Tuvalu erlauben, als Staat weiter zu funktionieren, selbst wenn es vollständig überflutet werden sollte. Das Inselreich möchte weiterhin international als Staat anerkannt werden und wünscht, dass seine maritimen Grenzen – und die Ressourcen innerhalb dieser Gewässer – auch dann erhalten bleiben, wenn die Inseln einmal unter dem Meeresspiegel liegen sollten.[8]
Klima-Ignoranz zerstört Freiheit
All jene, die glauben, dass die Bedrohungen durch den Klimawandel maßlos übertrieben seien, mögen sich einmal vorstellen, dass sie selbst in Tuvalu leben würden und sich in die Lage seiner Einwohner versetzen. Freiheit in dem Sinne, dass man über das eigene Leben selbst bestimmen kann, gibt es für die Einwohnerinnen und Einwohner von Tuvalu nicht mehr. Die Menschen in den Industrieländern tragen daran die Hauptschuld. All diejenigen, die dem Slogan „freie Fahrt für freie Bürger“[9] huldigen, haben nichts, aber auch gar nichts über die Zusammenhänge rund um das Klima begriffen und treten die Freiheit anderer Menschen und unserer Nachkommen mit Füßen.
Ankündigungen allein helfen nicht. Es ist Zeit zum Handeln. In dem 1972 veröffentlichten Bericht an den Club of Rome Die Grenzen des Wachstums, der seinerzeit die Weltöffentlichkeit erschüttert hatte und aktueller denn je ist, heißt es: „Nichts zu tun, erhöht das Risiko eines Kollapses […]. Wenn die Weltgesellschaft wartet, bis die Belastungen und Zwänge offen zutage treten, hat sie zu lange gewartet.“[10] Was den Klimawandel anbelangt, ist dieser Zeitpunkt erreicht. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind unübersehbar. Ein ungebremster Klimawandel würde die Menschen noch in diesem Jahrhundert ins Chaos stürzen und irreparable Schäden an Natur und Umwelt nach sich ziehen. Es käme zu gewaltigen Flüchtlingsströmen, zu Verteilungskämpfen und in einigen Weltregionen zu kriegerischen Auseinandersetzungen, etwa um die knapper werdenden Trinkwasserressourcen. Die Weltwirtschaft würde in eine tiefe Rezession rutschen. Ein selbstbestimmtes Leben in einer Welt der völligen Unordnung und großen Unsicherheit wäre eine Illusion und Freiheit ein Begriff aus der Vergangenheit.
Fußnoten
- https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/75-jahre-grundgesetz/artikel-2-gg-2267590 (abgerufen am 19.08.2024)
- https://www.lpb-bw.de/pariser-klimaabkommen (abgerufen am 18.8.2024)
- Die Zeitspanne 1850 bis 1900 wird üblicherweise als vorindustrielle Zeit bezeichnet.
- https://climate.copernicus.eu/copernicus-june-2024-marks-12th-month-global-temperature-reaching-15degc-above-pre-industrial (abgerufen am 19.8.2024)
- Allerdings ist im Pariser Klimaabkommen nicht weiter ausgeführt, wie lang der Zeitraum sein soll, in dem im Mittel eine bestimmte Temperaturmarke überschritten wird.
- https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html (abgerufen am 19.8.2034)
- https://www.reuters.com/world/asia-pacific/australia-offer-climate-refuge-all-residents-tuvalu-report-2023-11-10/ (abgerufen am 19.8.2024)
- https://www.dw.com/de/inselstaat-tuvalu-gr%C3%BCndet-erste-digitale-nation/a-63803995 (abgerufen am 19.8.2024)
- https://nach-haltig-gedacht.de/glossary/freie-buerger-freie-fahrt/ (abgerufen am ...19.8.2024)
- Meadows, Dennis L. u. a.: Die Grenzen des Wachstums (1972), Übersetzung von Hans-Dieter Heck, 14. Auflage, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1987, ISBN 3-421-02633-5.