Virtuelle Freiheit – Das Metaversum im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Überwachung
Das Internet und das World Wide Web (WWW) haben den Informationszugang und die Kommunikation im digitalen Zeitalter revolutioniert. Allerdings bringen diese Technologien auch Herausforderungen und Probleme mit sich wie Desinformation, Trolling oder Propaganda. Als potentieller Nachfolger dieser Technologien bietet das Metaversum enormes Potential für die Interaktion zwischen Menschen und virtuellen Umgebungen, wirft aber gleichzeitig essenzielle Fragen zum Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Überwachung auf, mit denen sich dieses Essay auseinandersetzt.
Freiheit im World Wide Web
Das WWW wurde zur „Verflechtung“ von Informationen über ein Netz (englisch: Web) entwickelt und bietet heute einen nahezu unbegrenzten Zugang zu Informationen und Wissen. Es hat die Art und Weise, wie wir kommunizieren, leben, arbeiten und konsumieren nachhaltig verändert und ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Durch die digitale Vernetzung können etwa Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt ihre Forschungsergebnisse, Daten und Ideen schnell und effizient teilen, was die internationale Zusammenarbeit und den interdisziplinären Austausch fördert. Diese Transparenz trägt zur Überprüfung von Forschungsergebnissen bei und ermöglicht eine breite Diskussion über Informationsgewinnung und Meinungsbildung. Da sich eine wissenschaftlich informierte Bevölkerung besser an der Gestaltung politischer und sozialer Rahmenbedingungen beteiligen kann, bildet der digitale Informationszugang eine grundlegende Voraussetzung für die Freiheit des Individuums sowie der Gesellschaft als Ganzes.
Der Begriff der Freiheit wird in der digitalen Welt häufig mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gleichgesetzt.[1] Diese besagt, dass jede Person grundsätzlich selbst entscheidet, wie ihre persönlichen Daten verwendet werden. Jedoch bringt das WWW auch erhebliche Herausforderungen und Probleme mit sich: Freiheit in der digitalen Welt ist nicht auf persönlichen Daten und Privatsphäre beschränkt, sondern tangiert auch andere zentrale Elemente demokratischer Gesellschaften wie den Zugang zu Bildung oder die Meinungs-, Versammlungs-, Presse- und Wahlfreiheit.
Beispielsweise kann die Verbreitung von Desinformation und pseudowissenschaftlichen Inhalten über das WWW den öffentlichen Diskurs verzerren und das Vertrauen in evidenzbasierte Forschung untergraben. Zudem können Zensur und Überwachung den freien Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Ideen und Gedanken einschränken. Zwar können mittels VPN-Tunnel oder Tor-Browser[2] Informationen im WWW anonym abgerufen oder eingestellt werden, aber dadurch steigen auch die Risiken von Cybermobbing, Hetze oder die Anwendung von Trollen. Anonymität und Automatisierung gepaart mit der an vielen Stellen fehlenden Regulierung des WWW und sozialer Medien ermöglichen es, falsche Informationen schnell zu erstellen und effizient breit zu streuen. Solche Desinformationen können zur Polarisierung der Gesellschaft führen und den öffentlichen Diskurs beeinflussen, indem sie alternative Fakten legitimieren. Auch angesichts der jüngsten Entwicklungen zur Abschaffung von menschlichen Faktencheckern wird die Notwendigkeit der Förderung von tiefgehenden Medienkompetenzen immer dringlicher, um beispielsweise Falschinformation selbst erkennen zu können. Dies gilt umso mehr, da sich bereits abzeichnet, dass eine noch disruptivere Entwicklung bevorsteht: das Metaversum.
Das Metaversum: offen – frei – sicher?
Der Begriff „Metaverse“ (deutsch: Metaversum) wurde erstmals im Jahr 1992 im Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ von Neal Stephenson als immersive virtuelle Welt eingeführt.[3] Knapp 30 Jahre griff Mark Zuckerberg, Chairman und CEO von Meta Platforms, Inc., auf diesen Begriff zurück und benannte sogar sein Unternehmen Thefacebook LLC um, um damit den Fokus auf die Entwicklung des Metaversums zu setzen. Im Gegensatz zum WWW sollen im Metaversum Menschen nicht mehr nur mit einem Bildschirm interagieren, sondern in eine virtuelle Umgebung mit all ihren Sinnen multimodal „eintauchen“.[4] Unterstützt wird diese „Immersion” durch Technologien wie Virtual Reality und Augmented Reality, die digitale Inhalte nicht nur darstellen, sondern mit unserem täglichen Leben verschmelzen lassen. Nutzende können für das Metaversum selbst ihre Avatare erstellen, die ihre Identität und ihr Verhalten im digitalen Raum repräsentieren beziehungsweise widerspiegeln. Auf diese Weise können sie im Metaversum „natürlich“ miteinander kommunizieren und interagieren. Digitale sowie reale Produkte und Dienstleistungen können über Kryptowährungen und NFTs (Non-Fungible Tokens) gekauft, verkauft oder getauscht werden. Neue Formen für Bildung und Zusammenarbeit können zum Beispiel durch virtuelle Schulungen, Kurse oder Konferenzen entstehen, die interaktive und immersive Elemente beinhalten. Die Möglichkeiten dieser neuen digitalen Ära scheinen grenzenlos und könnten unser gesellschaftliches Zusammenleben grundlegend verändern.[5]
Um die Vision des Metaversums zu verwirklichen, stehen noch erhebliche Herausforderungen vor uns. Es müssen offene, interoperable und skalierbare Strukturen des Metaversums geschaffen werden, die für alle Menschen unabhängig von deren Fähigkeiten oder technischem Wissen zugänglich sind und den Schutz der Informationssicherheit und der Privatsphäre erlauben. Die Informatik spielt eine zentrale Rolle in dieser Entwicklung, indem sie innovative Lösungen zur Realisierung des Metaversums erarbeitet und dessen gesellschaftlichen Nutzen fördert. Demzufolge hat die Gesellschaft für Informatik e.V. unter dem Titel „World Wide Metaverse: offen, frei und sicher” das Metaversum als eine der größten technischen Herausforderungen unserer Gesellschaft in der Zukunft identifiziert.[6]
Selbstbestimmung oder Überwachung?
Trotz der potenziellen Freiheiten und Möglichkeiten, die das Metaverse bietet, gibt es auch enorme Risiken und Herausforderungen. Fehler, die bei den Entwicklungen des Internets und WWW gemacht wurden, sollten bei der Realisierung des Metaversums nicht wiederholt werden. Dies gilt insbesondere, da die immersive Natur des Metaversums einige Aspekte der heutigen Internetnutzung noch verstärken könnte. Beispielsweise verarbeiten viele der heutigen Plattformen des Metaversums wie Meta Horizon diverse persönliche und teilweise sensible Daten ihrer Nutzenden. Wenn sie sich im Metaversum mit Datenbrillen bewegen, übertragen sie nicht nur, wo sie sich gerade in der virtuellen Welt befinden, sondern auch wo sie hinschauen, ihre Gesichtsausdrücke und womit sie interagieren wie auch Informationen über die reale Umgebung. Diese sensiblen und personenbezogenen Daten sind für Unternehmen und Institutionen enorm wertvoll und es ist unbedingt notwendig, dass die regulatorischen Vorgaben eingehalten werden, aber auch, dass die Nutzenden über die Verarbeitung der Daten hinreichend aufgeklärt werden; das Anklicken einer kleinen Checkbox im Installationsprozess ist hierfür aus meiner Sicht nicht ausreichend. Solche Datenüberwachung und -analyse schränkt die Privatsphäre und infolgedessen die persönliche Freiheit der Nutzenden deutlich ein.
Die Beziehung zwischen Freiheit und dem Metaversum umfasst weitere technologische, soziale, rechtliche und ethische Dimensionen. Menschen können im Metaversum unterschiedliche Facetten ihrer Persönlichkeit erkunden und soziale Interaktionen auf neue Weise erleben. Wie oben beschrieben, können sie beispielsweise über Avatare ihre Identität frei wählen und gestalten. Diese Fähigkeit zur Selbstrepräsentation kann das Gefühl von individueller sowie kreativer Freiheit stärken. Die Verwendungen von Avataren führt in der Regel zur sogenannten Illusion der Verkörperung (englisch: Embodiment Illusion), durch die Menschen das Gefühl haben, dass der virtuelle Körper tatsächlich ihr realer Körper ist. Ein wesentlicher Aspekt des Metaversums ist die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Nutzenden in virtuellen Räumen zu interagieren und zu kommunizieren. Diese Umgebungen können als erweiterte Freiräume betrachtet werden. So kann man mit Menschen aus aller Welt in Kontakt treten und soziale Beziehungen pflegen, was typischerweise die gefühlte soziale Präsenz verstärkt. Somit kommt die Interaktion mit anderen Nutzenden in virtuellen Räumen einer persönlichen Interaktion in der realen Welt näher als bei einem reinen digitalen Austausch in den heutigen sozialen Medien. Menschen verhalten sich in der Interaktion miteinander in der virtuellen Welt ähnlich wie in der realen Welt. Aus diesem Grund könnte das Metaversum Probleme der bisherigen digitalen Kommunikation in den sozialen Medien, wie zum Beispiel Echokammern oder Trolling, deutlich abmildern.
Trotzdem bleibt es unerlässlich, dass die Rechte der Nutzenden geschützt und Maßnahmen gegen die Verbreitung von Fehlinformationen oder Hassrede im Metaversum umgesetzt werden. Zwar wird die Freiheit der Gruppe oder Gemeinschaft einerseits durch den gegenseitigen Respekt und die Einhaltung von Normen in diesen Räumen beeinflusst, aber andererseits könnten die Plattformen selbst Regeln und Nutzungsrichtlinien implementieren, um dies zu forcieren. Allerdings könnte dadurch wiederum die Meinungsfreiheit eingeschränkt oder in bestimmte Richtungen gelenkt werden.
Eine entscheidende Frage zur Freiheit des Metaversums bleibt der technische Zugang. Menschen, die nicht über die notwendigen technischen Geräte, Internetverbindungen oder digitalen Kompetenzen verfügen, werden von den Möglichkeiten des Metaversums teilweise oder ganz ausgeschlossen. Dies wirft Fragen zur sozialen Gerechtigkeit und zu den Ungleichheiten auf, die in der realen Welt existieren und im digitalen Raum reproduziert werden.
Fazit
Insgesamt ist die Beziehung zwischen Freiheit und dem Metaverse vielschichtig und erfordert eine kritische Reflektion über die Chancen und Herausforderungen, die die neuen digitalen Räume mit sich bringen. Das Metaversum befindet sich noch in der Entwicklung – sowohl technologisch als auch kulturell. Es ist unbedingt notwendig, dass wir in Deutschland und in Europa diese Entwicklung nicht nur beobachten und kritisch beurteilen, sondern aktiv mitgestalten. Nur so können wir sicherstellen, dass das Metaversum die Balance zwischen technologischem Fortschritt und ethischen, rechtlichen und sozialen Überlegungen findet: Genau das könnte der Schlüssel zu einer harmonischen Verschmelzung unserer physischen und virtuellen Realitäten in Richtung einer inklusiven und freien digitalen Gesellschaft sein.
Fußnoten
- freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen (abgerufen am 13.01.2025)
- VPN: Eine verschlüsselte Verbindung, die Internetverkehr anonymisieren und geografische Beschränkungen umgehen kann. Tor-Browser: Ein Browser, der anonymes Surfen ermöglichen kann, indem er den Datenverkehr über das Tor-Netzwerk leitet.
- Stephenson, Neil. Snow Crash. Bantom Books, 1992.
- Steinicke, Frank. Being Really Virtual. Springer International Publishing, 2016
- Ball, Matthew. The Metaverse: And How It Will Revolutionize Everything. Liveright, 2022.
- gi.de/grand-challenges2025 (abgerufen am 13.01.2025)